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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Sie verkaufen auch Bücher? Zuckt da nicht ein Augenlid? Der Junge tritt unwillkürlich einen Schritt näher, und der Boden unter ihm knarrt. Manche Dielen sind gesprächiger als andere und plärren jede Bewegung aus. Die Mundwinkel des Mannes zucken, aber sonst verharrt er so reglos wie zuvor. Der Junge schluckt, er schwitzt unter seinen warmen Sachen. Es ist ihm unangenehm, so große, braune Augen leblos, aber nicht gebrochen auf sich geheftet zu haben und nicht zu wissen, was er tun soll. Soll er ins Arzthaus zurücklaufen und Hilfe holen? Vielleicht schwebt der Mann in Lebensgefahr, der Tod greift nach ihm, und er fragt ihn, ob er Bücher verkaufe!
    Soll ich Hilfe holen?, fragt er, beugt sich vor und blickt nun direkt in die stieren Augen. Stimmt mit Ihnen etwas nicht?, erkundigt er sich dann wie ein Idiot, denn ganz offensichtlich stimmt mit dem Mann etwas nicht.
    Nein, antwortet eine Frauenstimme, das wäre zu viel behauptet.
    Sie steht in der Tür hinter der Ladentheke, der Flur dahinter ist so dunkel, als käme sie direkt aus dem Totenreich.
    Entschuldigung, sagt der Junge, noch immer von ihrem Erscheinen erschreckt. Guten Tag, setzt er hinzu.
    Bist du sicher, dass er so gut ist?, fragt die Frau und tritt vor. Sie ist groß, von schwerem Körperbau, und ihr Gesicht ist zu grobknochig, um schön zu sein; es liegt ein harter Zug darin. Der Junge antwortet nichts, weiß auch nicht, was er darauf sagen sollte.
    Du bist wohl einer von den beiden, die mit der Post gekommen sind.
    Er nickt.
    Und jetzt fragst du nach Büchern.
    Ja, sagt der Junge in entschuldigendem Tonfall. Wenn man dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen ist, einen Begleiter verloren hat und der andere mit Erfrierungen im Bett liegt, gilt es vielleicht nicht als angebracht, nach Büchern zu fragen. Oder ist es genau der richtige Zeitpunkt, um nach Büchern zu fragen?
    Er ist betrunken, sagt sie und verschränkt die langen Arme.
    Ach so, betrunken, wiederholt der Junge, als verstünde er nun alles, als wäre nun alles klar, jede Frage beantwortet, und er sieht den Mann an, der jetzt unter seinem dichten Schnauzbart grinst, während die Augen und das ganze Gesicht weiterhin so abwesend aussehen wie vorher, so als hätte man ihm das Grinsen zum Spott nur aufs Gesicht gemalt.
    Betrunken, ja, obwohl sturzbesoffen eigentlich das richtigere Wort wäre. Er hatte Angst, dass uns vor der ersten Frühlingslieferung der Alkohol ausgehen könnte, und da hat er lieber alles selbst gesoffen, was wir noch im Laden hatten. Ich muss ihn irgendwie ins Bett bringen, setzt sie hinzu. Der Junge legt Mütze und Handschuhe ab und ist bereit.
    Sie brauchen eine geraume Weile, um den Mann auf die Füße zu stellen. Die Frau macht Licht im Flur, ein schwaches Licht, und das Dunkel wird zu undurchsichtiger, grauer Luft. Der Junge sieht, dass die Stiege ziemlich steil ist und die obersten Stufen im Dunkeln verschwinden. Der Mann selbst ist nicht besonders schwer, aber seine Bewusstlosigkeit macht ihn schwerer. Wer nicht mithilft, ist immer eine schwere Last. Außerdem ist er groß, andauernd bleibt er mit seinen langen Stelzen irgendwo hängen, an einer Ecke, am Geländer, und auf der Mitte der Treppe brummt er etwas.
    Halt an, sagt die Frau keuchend, und der Junge schleppt den Mann nicht weiter. Er hält ihn unter den Achseln gefasst, die Frau trägt ihn an den Beinen. Kurz darauf zuckt der Mann, sein Körper krümmt sich wie unter Schmerzen zusammen, als müsse er sich erbrechen, es kommt aber nichts außer einem tiefen Stöhnen.
    Meistens bugsiere ich ihn allein hier rein, sagt die Frau, nachdem sie ihn in ein Bett gelegt haben. Aber es geht natürlich leichter, wenn man Hilfe hat. Vielen Dank dafür!
    Sie legt den Mann zurecht, zieht ihm die Schuhe und die Jacke aus, muss ihn dazu noch einmal halb aufrichten, und er öffnet die Augen einen schmalen Spalt weit und murmelt ein einziges Wort.
    Hat er Hel gesagt?, wundert sich der Junge.
    Ich habe Hildur verstanden, sagt die Frau.
    Wer ist Hildur?, fragt der Junge, ohne zu überlegen, und bereut es natürlich sofort, vielleicht ist Hildur ein Name, den man in diesem Haus besser nicht in den Mund nimmt, vielleicht ist sie die Frau, die er liebt, aber nicht bekommen darf, oder sie ist gestorben, in die Ferne entschwunden, und er trinkt aus heftiger Sehnsucht nach ihr, aus der Sehnsucht, die uns zerbrechlich macht.
    Das bin natürlich ich, sagt die Frau und richtet sich mit der Jacke in der Hand auf. Ich heiße Hildur,
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