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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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mir so mies, dass ich nicht nachfragte, wer dieser Werwolf aus der Hauptstadt gewesen war. Das Argument kam mir jedenfalls einleuchtend vor. »Heißt das, es ist alles vollkommen hoffnungslos?«, flüsterte ich, meine Tränen hinunterschluckend.
    Der Gelbe Herr zuckte die Achseln.
    »Ich weiß nicht. Gegen das Wissen, dass alles eine Ausgeburt des Geistes ist, kommt die ärgste Hölle nicht an«, sagte er.
    »Das Wissen ist das eine«, erwiderte ich. »Ich habe die heiligen Bücher gelesen und kenne mich ziemlich gut darin aus. Doch ich vermute, dass die Bosheit in meinem Herzen sitzt. Und ein böses Herz, da hat der Werfuchs aus der Hauptstadt ganz recht, ein böses Herz schafft unweigerlich eine Hölle um sich herum. Ganz gleich, wo es sich gerade befindet.«
    »Hättest du ein böses Herz, wärest du nicht den Klängen meiner Flöte gefolgt. Dein Herz ist nicht böse. Es ist nur schlau – wie bei allen Werfüchsen.«
    »Und ist einem schlauen Herzen zu helfen?«
    »Man sagt, bei redlichem Lebenswandel lässt sich ein schlaues Herz in drei Kalpas heilen.«
    »In drei was?«
    »Ein Kalpa ist die Zeit, die zwischen der Entstehung eines Universums und seinem Untergang verstreicht.«
    »Aber so lange Zeit lebt kein Werfuchs!«, sagte ich.
    »Das ist wahr. Ein schlaues Herz kuriert sich nicht so leicht, es lässt sich schwer überzeugen, dass es moralischen Prinzipien folgen muss. Gerade weil es schlau ist, wird es einen Weg finden, diese Prinzipien zu umgehen und allen ein Schnippchen zu schlagen. Im Laufe von drei Kalpas wird es vielleicht einsehen, dass es sich dabei nur selbst etwas vormacht.«
    »Und die Sache lässt sich durch nichts beschleunigen?«
    »Unter Umständen schon«, erwiderte er. »Für den, der unbedingt will und entschlossen genug ist, gäbe es einen Weg.«
    »Und der wäre?«
    »Buddha hat eine Menge verschiedener Lehren vorgegeben. Darunter solche für Menschen, für Geister, sogar für Götter, die nicht gestürzt werden wollen. Eine Lehre für auf Erden wandelnde Zauberfüchse gibt es auch. Doch wirst du ihr trauen, wenn ein Mensch dir von ihr kündet?«
    Ich nahm die ehrerbietigste Pose ein, die mir zur Verfügung stand, und sagte: »Ich begegne den Menschen mit Hochachtung, glaubt mir! Wenn ich mich hin und wieder dazu hinreißen lasse, etwas von ihrer Lebenskraft abzuzweigen, so ist das meine Natur, gegen die ich nichts ausrichten kann. Anders wüsste ich für meinen Lebensunterhalt auch nicht zu sorgen.«
    »Gut«, sprach der Gelbe Herr. »Ein glücklicher Zufall will es, dass ich in die geheime Lehre für unsterbliche Werfüchse eingeweiht bin, und ich bin bereit, sie an dich zu übertragen. Besser gesagt, ich bin verpflichtet dazu. Denn bald werde ich diese Welt verlassen, und es wäre schade, wenn diese vorzügliche Kenntnis mit mir abhanden käme. Noch einen Werfuchs werde ich bis dahin wohl kaum treffen.«
    »Was ist mit Euerm Gast aus der Hauptstadt? Warum habt Ihr die Lehre nicht schon an ihn übertragen?«
    »I Huli ist nicht geeignet dafür«, beschied er.
    Sie also! Begab sich klammheimlich hierher, um ihre Sünden wegzubeten. Während sie nach außen hin bestritt, dass es so etwas wie Sünden überhaupt gab.
    »Warum sollte meine Schwester I Huli nicht geeignet sein?«, fragte ich. »Ihr erwähntet doch selbst, dass sie hier erscheint, um ihre Taten zu bereuen.«
    »Sie ist viel zu durchtrieben. Zeigt immer nur dann Reue, wenn sie eine ganz üble Missetat plant. Dann sucht sie ihre Seele zu erleichtern, damit wieder mehr Bosheit hineingeht.«
    »Dazu wäre ich genauso fähig«, gab ich zu.
    »Ich weiß«, sprach der Gelbe Herr. »Doch du wirst immer dessen eingedenk sein, dass du ein Verbrechen begehst. Falsche Reue würde bei dir gar nicht funktionieren. I Huli hingegen kann, während sie ihre nächste Untat plant, die vorige so inbrünstig bereuen, dass ihr die Seele davon tatsächlich leichter wird. Sie ist viel zu schlau, um irgendwann in den Regenbogenstrom einzugehen.«
    Die letzten Worte sprach er besonders feierlich.
    »Wohin einzugehen?«, fragte ich nach.
    »In den Regenbogenstrom«, wiederholte er das schillernde Wort.
    »Was ist das?«
    »Du sagst, du hättest die heiligen Bücher gelesen. Dann müsstest du wissen, dass das Leben ein Spaziergang durch einen Garten illusionärer Formen ist, die nur jenem Geist real erscheinen, der seine wahre Natur noch nicht erkannt hat. Der Verstand kann sich in die Welt der Götter ebenso verlaufen wie in die Welt der Dämonen, die
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