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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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sagte mein Vater.
    Also ist er noch hinter ihr her.
    Das wissen wir nicht, sagte mein Vater. Jeder hätte an diese Streichhölzer kommen können, ob Indianer oder Weißer. Jeder hätte sie da liegen lassen können. Aber vermutlich stammte er hier aus der Gegend.
    Ob jemand Indianer ist, sieht man nicht an seinen Fingerabdrücken. Man sieht es nicht am Namen. Man sieht es nicht einmal an einem Polizeibericht. Auch nicht an einem Foto. Einem Fahndungsfoto. Einer Telefonnummer. Wenn es nach der Regierung geht, kann man nur feststellen, ob jemand Indianer ist, indem man seine Herkunft untersucht. Irgendwo in seiner Vorgeschichte muss es Leute geben, die irgendetwas unterschrieben haben oder von der Regierung als Indianer registriert worden sind, Leute, die man eindeutig einem Stamm zuordnen kann. Und dann wird der Verwandtschaftsgrad untersucht, wie viel Blut aus einem bestimmten Stamm in ihren Adern fließt. Meistens erkennt die Regierung einen als Indianer an, wenn er zu einem Viertel indianisches Blut in den Adern hat – möglichst von nur einem Stamm. Und dieser Stamm muss wiederum gesetzlich anerkannt sein. So gesehen ist es eine ziemlich bürokratische Angelegenheit, ein Indianer zu sein.
    Andererseits erkennt ein Indianer den anderen sofort, ohneoffiziellen Stammbaum, und dieses Wissen hat – wie Liebe, Sex oder die Entscheidung für oder gegen ein Kind – nichts mit der Regierung zu tun.
    Es dauerte einen ganzen Tag, ehe ich mitbekam, dass man sich schon überall über mögliche Verdächtige unterhielt – über jeden, der sich komisch verhalten hatte, der nicht da war oder den man gesichtet hatte, wie er gefüllte Müllsäcke durch die Hintertür schleppte.
    Ich erfuhr davon, als ich am Samstagnachmittag bei meinem Onkel und meiner Tante vorbeiging, um einen Pie abzuholen. Meine Mutter hatte meinem Vater gesagt, es werde allmählich Zeit, dass sie aufstand, badete, sich anzog. Sie nahm immer noch Schmerztabletten, aber Dr. Egge hatte gesagt, Bettruhe sei nicht gut für sie, sie brauche ein wenig Bewegung. Dad hatte gesagt, er würde ein Abendessen aus dem Kochbuch kochen. Nachtisch traute er sich nicht zu, deshalb der Pie. Onkel Whitey saß mit einem Glas Eistee am Tisch. Mooshum hockte ihm gegenüber, gebeugt und zerbrechlich, in bernsteinfarbener langer Unterwäsche mit einem karierten Bademantel darüber. Er weigerte sich, samstags Straßenkleidung anzuziehen, mit der Begründung, dass er einen Tag Ruhe brauchte, um sich für den Sonntag zu wappnen, wo Clemence ihm eine Anzughose, ein gebügeltes weißes Hemd und manchmal eine Krawatte aufnötigte. Vor ihm stand auch ein Glas Tee, aber er starrte es nur finster an.
    Kaninchenpisse, maulte er.
    Ganz genau, Daddy, sagte Clemence. Das ist ein Tee für alte Männer. Er ist gut für dich.
    Ah, Sumpftee, sagte Onkel Whitey und schwenkte kennerisch sein Glas. Der hilft gegen alles, was dich plagt, Daddy.
    Gegen das Alter?, fragte Mooshum. Macht er mich jünger?
    Na ja, fast, sagte Whitey, der genau wusste, dass er bald zu Hause ein Bier trinken konnte, statt hier Mooshum etwas vorzuspielen, der den seligen Zeiten nachtrauerte, als Clemence ihm noch Whiskey eingegossen hatte. Inzwischen hatte Clemencebeschlossen, dass der Alkohol ihm schadete, und versuchte ihn davon fernzuhalten.
    Das ist nicht leicht zu schlucken, meine Tochter, sagte er zu Clemence.
    Aber es spült deine Leber durch, sagte Whitey.
    Komm, Clemence, schenk Joe ein bisschen Sumpftee ein.
    Clemence gab mir ein Glas Tee und ging dann ans Telefon. Sie wurde ständig von Leuten angerufen, die die letzten Neuigkeiten – oder den neuesten Klatsch – über ihre Schwester wissen wollten.
    Vielleicht war dieses Schwein wirklich ein Indianer, sagte Onkel Whitey. Schließlich hatte er einen Indianerkoffer dabei.
    Was für einen Indianerkoffer?, fragte ich.
    Die Mülltüten.
    Ich beugte mich vor. Also ist er abgehauen? Aber woher kommt er? Wer ist es? Wie heißt er?
    Clemence kam zurück und funkelte ihn an.
    Awee, sagte Onkel Whitey. Sieht so aus, als sollte ich nicht darüber reden.
    Und kein kleines Gläschen Whiskey trinken. Und nicht in die Spüle pissen, wie ich es tun werde, bis sie aufhört, mir diesen Sumpftee einzuschenken. Das vertragen die stärksten Nieren nicht, sagte Mooshum.
    Du pisst in die Spüle?, fragte ich.
    Wenn ich Tee trinken muss, immer.
    Clemence ging in die Küche und kam mit einer Flasche Whiskey und drei übereinandergestapelten Schnapsgläsern zurück. Sie stellte die
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