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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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ich schaute sie an. Aber es ging ihr nicht gut. Da waren überall Spuren von Faustschlägen und diese grausige Schieflage in ihrem Gesicht. Ihre Haut hatte jede Wärme verloren; sie war aschfahl. Um den Mund war ein Rand aus verkrustetem Blut. Die Schwester kam herein und kurbelte das Fußende hoch. Legte noch eine Decke auf ihre Beine. Ich senkte den Blick und beugte mich zu ihr runter. Strich ihr über das bandagierte Handgelenk und die trockenen Finger. Sie schrieauf und zog die Hand weg, als hätte ich ihr wehgetan. Das gab mir den Rest. Ich sah meinen Vater an, und er winkte mich zu sich. Legte den Arm um mich und führte mich in den Flur.
    Es geht ihr nicht gut, sagte ich.
    Er sah auf die Uhr und dann wieder zu mir. In seinem Blick lag die verhaltene Wut von jemandem, der gar nicht schnell genug denken kann.
    Es geht ihr nicht gut. Ich sagte es, als müsste er dringend die Wahrheit erfahren. Und einen Moment lang dachte ich, er würde zusammenbrechen. Irgendetwas bäumte sich in ihm auf, aber er besiegte es, atmete aus und beherrschte sich. Joe. Er sah schon wieder so komisch auf seine Uhr. Joe, sagte er, deine Mutter ist angegriffen worden.
    Wir standen im Flur unter den fleckigen, sirrenden Leuchtstofflampen, und ich fragte das Erste, was mir einfiel.
    Wegen was denn? Und von wem?
    Absurderweise fiel uns beiden auf, dass die übliche Reaktion meines Vaters gewesen wäre, erst einmal meine Grammatik zu korrigieren. Wir sahen einander an, und er schwieg.
    Der Kopf, der Nacken und die Schultern meines Vaters sind die eines starken Mannes, aber sonst wirkt er vollkommen durchschnittlich. Sogar ein wenig ungelenk und weich. Wenn man es sich recht überlegt, ist das der perfekte Körperbau für einen Richter. Er thront imposant auf dem Richterstuhl, aber bei Gesprächen im Besprechungszimmer (eigentlich einer besseren Besenkammer) wirkt er nicht bedrohlich, und die Leute vertrauen ihm. Außer dem Donnerhall beherrscht er auch jede andere stimmliche Nuance bis hin zu sehr sanften Tönen. Genau diese Sanftheit beunruhigte mich jetzt, und wie leise er sprach. Fast flüsternd.
    Sie weiß nicht, wer der Mann war, Joe.
    Und werden wir ihn finden?, fragte ich genauso leise.
    Das werden wir, sagte mein Vater.
    Und was dann?
    Sonntags rasierte mein Vater sich nie, und es waren ein paar graue Bartstoppeln nachgewachsen. Da war wieder dieses Etwas, das sich in ihm zusammenballte und ausbrechen wollte. Stattdessen legte er mir die Hände auf die Schultern und sprach mit dieser säuselnden Stimme, die mir so unheimlich war.
    So weit kann ich im Moment nicht vorausdenken.
    Ich legte meine Hände auf seine und sah ihm in die Augen. Seine beruhigenden braunen Augen. Ich wollte sicher sein, dass derjenige, der meine Mutter angegriffen hatte, gefunden, bestraft und getötet wurde. Mein Vater sah es mir an. Seine Finger gruben sich in meine Schultern.
    Wir kriegen ihn, sagte ich schnell. Ich hatte Angst dabei; mir wurde schwindlig.
    Ja.
    Er ließ meine Schultern los. Ja, sagte er noch einmal. Er tippte auf seine Armbanduhr. Wenn nur die Polizei schon da wäre. Sie müssen ihre Aussage aufnehmen. Sie sollten längst hier sein.
    Wir machten kehrt und gingen zum Zimmer zurück.
    Welche Polizei?, fragte ich.
    Da fragst du was, sagte er.
    Die Schwester wollte uns noch nicht wieder reinlassen, und während wir warteten, kam die Polizei. Drei Männer traten durch die Stationstür und blieben schweigend im Flur stehen. Ein State Trooper, ein Beamter aus Hoopdance und Vince Madwesin von der Stammespolizei. Mein Vater hatte darauf bestanden, dass jeder von ihnen die Aussage meiner Mutter aufnahm, weil unklar war, wo das Verbrechen verübt worden war – auf staatlichem Boden oder Stammesland – und wer es begangen hatte – ein Indianer oder ein Nicht-Indianer. Ich wusste schon ansatzweise, dass diese Fragen ständig um die Fakten herumschwirren würden. Ich wusste auch, dass die Fragen an den Fakten nichts änderten. Aber sie würden die Art und Weise verändern, wie wir nach Gerechtigkeit strebten. Mein Vaterberührte mich an der Schulter und ging zu den Männern hinüber. Ich lehnte mich an die Wand. Die anderen waren alle ein wenig größer als mein Vater, aber sie kannten ihn und beugten sich herab, um keins seiner Worte zu verpassen. Sie hörten ihm konzentriert zu, ohne je den Blick abzuwenden. Mein Vater sah beim Sprechen hin und wieder zu Boden und faltete die Hände hinter dem Rücken. Dann sah er einen nach dem anderen unter
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