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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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heldenhaften Männern, die in aller Stille tranken, hier und da mal eine Zigarre rauchten, ein vernünftiges Auto fuhren und nur dadurch ihren Kampfgeist unter Beweis stellten, dass sie klügere Frauen heirateten. Ich selbst hielt mich für anders; ich wusste nur noch nicht, wie. Ich wusste bloß, während ich meine Sorgen hinunterschluckte undwir nach meiner Mutter suchten, die einkaufen gefahren war – nichts weiter, bestimmt nichts weiter –, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Die Mutter verschwunden. Das war etwas, das dem Sohn eines Richters einfach nicht passierte, nicht einmal in einem Reservat. Ich hoffte vage darauf, dass zumindest irgendetwas passieren würde.
    Ich war ein Junge, der es fertigbrachte, einen halben Sonntagnachmittag lang Baumsämlinge aus dem Fundament seines Elternhauses zu pulen. Also hätte ich mich mit der Tatsache abfinden sollen, dass ich eines Tages auch genauso ein Erwachsener werden würde, aber noch wehrte ich mich dagegen. Trotzdem meinte ich, als ich wollte, dass etwas passierte, nichts Schlimmes damit, nur irgendetwas eben. Etwas Seltenes. Eine Entdeckung. Einen Bingogewinn. Allerdings war Sonntag kein Bingo-Tag, und es hätte auch überhaupt nicht zu meiner Mutter gepasst mitzuspielen. Und genau das wünschte ich mir – etwas Ungewöhnliches. Weiter nichts.
    Auf halbem Weg fiel mir ein, dass der Laden in Hoopdance sonntags geschlossen hatte.
    Natürlich! Mein Vater reckte das Kinn vor, und seine Hände umschlossen das Lenkrad fester. Sein Profil hätte auf einem Filmplakat indianisch gewirkt und auf einer Münze römisch. In seiner kräftigen Nase und dem markanten Kiefer lag etwas Klassisches, Stoisches. Er fuhr weiter, denn vielleicht, so sagte er, hatte sie ja ebenfalls vergessen, dass Sonntag war. In dem Moment kam sie uns entgegen. Da! Sie raste auf der anderen Spur an uns vorbei, voll konzentriert, weit über dem Limit, in Eile, zu uns nach Hause zu kommen. Aber wir waren hier! Wir lachten über ihr verkniffenes Gesicht, machten kehrt und fuhren ihr hinterher.
    Sie ist sauer, sagte mein Vater und lachte erleichtert. Siehst du, ich hab’s ja gesagt. Sie hat es vergessen. Ist einkaufen gefahren und hat vergessen, dass der Laden zu ist. Jetzt ist sie sauer wegen dem verschwendeten Benzin. Oh, Geraldine!
    Heiterkeit, Bewunderung und Staunen lagen in seiner Stimme, als er das sagte. Oh, Geraldine! Allein diese zwei Wörter zeigten, dass er meine Mutter immer schon und immer noch liebte. Er war ihr unendlich dankbar, dass sie ihn geheiratet und ihm dann auch noch einen Sohn geschenkt hatte, als er längst glaubte, der Letzte in seiner Ahnenreihe zu sein.
    Oh, Geraldine.
    Er schüttelte den Kopf, lächelte beim Fahren vor sich hin, und alles war wieder in Ordnung, mehr als in Ordnung. Wir konnten jetzt zugeben, dass uns die ungewöhnliche Verspätung meiner Mutter Angst eingejagt hatte. Wir konnten uns wachrütteln lassen und begreifen, wie sehr wir unsere heiligen kleinen Routinen zu schätzen wussten. So wild ich mir auch im Spiegel oder in meinen Gedanken vorkam – diese einfachen Freuden des Alltags bedeuteten mir viel.
    Und jetzt waren wir an der Reihe, ihr Angst einzujagen. Nur ein bisschen, sagte mein Vater, nur damit sie einen kleinen Eindruck davon kriegt, wie das ist. Wir ließen uns Zeit damit, das Auto zurückzubringen, und gingen zu Fuß den Berg hoch, diesmal voller Vorfreude auf die entrüstete Frage meiner Mutter: Wo wart ihr denn? Ich sah es schon vor mir, wie sie die Fäuste in die Hüften stemmte. Wie ein Lächeln hinter ihrem strengen Gesichtsausdruck aufblitzte. Sie würde lachen, wenn wir ihr die Geschichte erzählten.
    Wir gingen die unbefestigte Auffahrt hoch. Daneben hatte Mom in einer schnurgeraden Reihe Stiefmütterchen angepflanzt, die sie in Milchkartons vorgezogen hatte. Sie hatte sie schon früh ins Freie gesetzt – die einzige Blume, die Frost vertrug. Als wir näher kamen, sahen wir, dass sie noch im Auto saß. Im Fahrersitz, mit Blick auf das glatte Garagentor. Mein Vater rannte los. Jetzt bemerkte ich es auch, wie sie dasaß – irgendwie steif, erstarrt, verkehrt. Am Auto angekommen, öffnete er die Fahrertür. Ihre Hände hielten das Lenkrad umklammert, und sie starrte blind vor sich hin, genau so, wie sie es getan hatte,als sie uns auf der Straße nach Hoopdance entgegenkam. Wir hatten ihren unbewegten Blick bemerkt und darüber gelacht. Sie ist sauer wegen dem Benzin!
    Ich war dicht hinter meinem Vater. Trotz allem
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