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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs
Autoren: Alexander Pechmann
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Ruf hatte. Ihr Eingang war durch ein altes schmutziges Marmorschild mit der Inschrift »Ameri cana « gekennzeichnet. Daneben befand sich ein verwitterter Torbogen, eine rußgeschwärzte fensterlose Fassade und drei Stufen, die zu einem engen Korridor ohne Lichtschalter und einer unscheinbaren Tür ohne Türklingel führten. Blaise Cendrars, der Schweizer Weltenbummler, beschrieb, was den Besucher dahinter erwartete: »Ein beeindruckender Anblick. Vom Parkettboden bis zur Decke, eng aneinandergereiht auf den Regalen, in schwankenden Stapeln, große und kleine und dicke und dünne, vor allem alte Bücher mit schönen Einbänden und schwere, in Pergament gebundene Foliobände und Berge von Mappen voller Drucke und Stiche, eine Sintflut von Buchhandlungskatalogen aus allen Ländern und in allen Sprachen ergoss sich über die Tische, und in den dunklen Ecken eine Lawine von Gedrucktem und auf dem Fußboden verstreuten Blättern, Zeitschriften, Broschüren, Einzelbänden, ein riesiges Durcheinander, ein Kafarnaum, und überall Staub.«
    In der Mitte dieser Bücherhöhle stand ein großer altertümlicher Ofen, der Sommer und Winter geheizt wurde und dünne gelbliche Rauchschwaden absonderte, die das Atmen erschwerten und den Raum dem Anschein nach in ein merkwürdiges Refugium für exotische Tier- und Pflanzenarten verwandelte. Hinter dem gusseisernen Monstrum saß eine vermummte Gestalt in einem Lehnstuhl und las. Es war niemand anders als Charles Chadenat, der Eigentümer des Ladens, der |32| überaus selten etwas anderes tat als lesen. Er trug eine fleckige Mütze auf dem Kopf, eine Wolldecke um die Schultern, fingerlose Handschuhe, und seine Füße steckten in einem wärmenden Fußsack. Betrat ein Kunde den Laden, wurde er von dem in seine Lektüre vertieften Antiquar zunächst einmal ignoriert. Aufdringliche und neugierige Personen wurden kurzerhand hinausgeworfen, und nur jene, die eine interessante Frage zu einem interessanten Thema, einem bestimmten Buch oder eine originelle und intelligente Bemerkung parat hatten, wurden gnadenhalber geduldet. Kurzum: Chadenat war ein Buchhändler, der nur sehr, sehr ungern etwas verkaufte. Er kaufte, hortete und las die Bücher lieber selbst. Gelegentlich ließ er sich zu einem Tauschgeschäft herab, wenn er dabei eine minderwertige Dublette loswerden und dafür eine nur ihm bekannte Kostbarkeit ergattern konnte. Selten ließ er sich nach langem Feilschen dazu überreden, ein gut erhaltenes Exemplar aus seinen übervollen Regalen zu veräußern, und jene Kunden und Sammler, die seltene Bücher nur wegen ihres materiellen Wertes kauften, hatten bei ihm keine Chance. Sie wurden beschimpft, verhöhnt und vor die Tür gesetzt.
    Die Lektüre Chadenats war keineswegs willkürlich und ziellos. Er war ein vortrefflicher Kenner der Entdeckungs- und Kolonialgeschichte. Seine schier unersättliche Wissbegier wurde freilich von einer ebenso fragwürdigen wie finsteren Marotte angestachelt: Er hasste England und alles Englische. Er war zutiefst davon überzeugt, dass die Briten für alles Unheil verantwortlich |33| waren und den Niedergang Frankreichs herbeigeführt hatten. Grollend folgte er dem immerwährenden Konflikt beider Nationen im Rückwärtsgang durch die Weltgeschichte: Auf allen Meeren, auf allen Erdteilen hatte das verhasste England die kolonialen und missionarischen Bestrebungen der tapferen Franzosen bekämpft, unterbunden und die friedlichen französischen Siedler und Kaufleute zurückgedrängt. Von den Piratenüberfällen in der Karibik bis zu den Indianerkriegen in Kanada, vom Verlust Virginias und Louisianas bis zu den Kämpfen um Südseeinseln und Handelsposten im Indischen Ozean, vom Krimkrieg bis zum peinlichen Säbelgerassel im Sudan während der Faschodakrise – überall hatten die dunklen Machenschaften geldgieriger und profithungriger Engländer den zivilisatorischen Einfluss Frankreichs untergraben und durch gnadenlose Ausbeutung ersetzt.
    Chadenats größter Alptraum war die Vorstellung, dass seine geliebte Sammlung seltener geographischer Werke nach seinem Tod von seinem englischen Widersacher, dem erfolgreichen Londoner Antiquariat Maggs Brothers, aufgekauft werden könnte. Ein entsetzlicher Gedanke! Auch die letzte Bastion des französischen Nationalstolzes würde dann an den Feind fallen! Doch der eifersüchtige, anglophobe Buchhändler hatte niemanden, der sein Erbe antreten, sein Lebenswerk fortführen und vor dem Zugriff diabolischer englischer Antiquare
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