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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs
Autoren: Alexander Pechmann
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Für den passionierten Bücherfreund gibt es nichts Verführerischeres als diese unbekannten, rätselhaften und unzugänglichen Werke. Sie aufzuspüren kann zur Lebensaufgabe werden und die Jagd nach ihnen zur Odyssee. Es gibt Bücher, die allein durch ihren Namen eine hypnotische Anziehungskraft ausüben. Manche scheinen umso begehrenswerter, je weniger über ihren Inhalt und ihren Verbleib bekannt ist. Ihren Ruf erlangen sie nicht durch häufige Lektüre, sondern durch all die phantastischen Gerüchte und Geschichten, die sich um ihre Existenz ranken.
    Das längst vergessene Werk des persischen Universalgenies Abu ’r-Raihān Muhammad ibn Ahmed al-Bīrūnī enthält einige solcher Attraktionen. Geradezu unwiderstehlich klingt das »Buch der Unterweisung in die Anfänge der Kunst der Sterndeutung«; zumal sein |16| Verfasser ein gefragter Meister in jener bedeutenden Kunst war. So erzählt man, dass Sultan Mahmud eines Tages die Fähigkeiten seines vielgepriesenen Hofastrologen auf die Probe stellte. Er brachte ihn in einen Raum mit vier Türen und forderte ihn auf, vorherzusagen, durch welche Tür sein Gebieter das Zimmer verlassen werde. Al-Bīrūnī erstellte mittels komplizierter Berechnungen ein Horoskop, notierte seine Erkenntnis auf einen Zettel, der zusammengefaltet und sicher unter dem Kissen eines Diwans verwahrt wurde. Der Sultan, der sich für scharfsinnig hielt, weil er zwei, drei Koranverse auswendig konnte, ließ daraufhin eine fünfte Tür durch die Wand des Zimmers brechen und entschwand durch diesen neuen Ausgang. Als man den Zettel al-Bīrūnīs las, stellte sich heraus, dass er genau dies prophezeit hatte. Wütend über das Ergebnis, befahl der Sultan seinen Wachen, den Gelehrten aus dem Fenster zu werfen. Dieser wehrte sich nicht, da sein Blick in die Zukunft auch dies vorhergesehen hatte: Es würde ihm nichts geschehen, denn er sollte sanft und sicher in einem Netz landen, das unter dem Fenster gemäß seiner umsichtigen Anweisung aufgespannt worden war.
    Ob die Geschichte der Wahrheit entspricht, ist umstritten, zumal der berühmte Wissenschaftler kein Hexenmeister war und ein eher zwiespältiges Verhältnis zu vorgeblich präzisen Aussagen der Astrologie hatte. Al-Bīrūnī wusste auch aus eigener Erfahrung, dass Horoskope nicht unbedingt zur Vermessung der Zukunft taugen, sondern eher mit ihren günstigen Vorzeichen seelische Erleichterung bei alltäglichen Sorgen brachten. |17| Auch der klügste und gebildetste Mensch, meinte al-Bīrūnī, hoffe in seiner Not auf einen guten Ausgang, freue sich an prophetischen Träumen und freundlichen Omen.
    Als er selbst einmal Zerstreuung suchte, da ihm die unerwiderte Liebe zur verführerischen Haremsdame Raihāna großen Kummer bereitete, beauftragte er einige graubärtige Astrologen mit der Erstellung eines Horoskops. Ausgehend von seinem Geburtsdatum, dem 4. September 973, und seinem Geburtsort, der Stadt Kath in der Nähe des Aralsees, berechneten sie seine Lebenserwartung. Einer kam auf sechzehn, einer auf vierzig und einer auf über sechzig Jahre, während al-Bīrūnī die fünfzig bereits überschritten hatte. Er wurde wesentlich älter, als die Astrologen ihm geweissagt hatten, und er wusste die ihm bemessene Zeit gut zu nutzen. Seine Forschungen umfassten Themen und Bereiche, mit denen sich moderne Wissenschaftler der Mathematik, Geometrie, Physik, Geographie, Astronomie, Philosophie, Biologie, Soziologie und Religionsgeschichte auch heute noch auseinandersetzen. Nebenbei verfasste er am Hof des Sultans Mahmud drei literarische Werke, von denen eines, das leider verlorenging, den vielversprechenden Titel »Der zärtliche Liebhaber und die Jungfrau« trug. Weit bedeutendere Leistungen vollbrachte er allerdings in den »Gärten der Wissenschaften«: Er prüfte, kommentierte und ergänzte das Wissen der alten Griechen, beschäftigte sich insbesondere mit den Lehren des Aristoteles, bewies die Kugelform der Erde, berechnete den Erdumfang, experimentierte |18| mit physikalischen Phänomenen und grübelte über Ursprung und Herkunft des Menschen.
    Es überrascht daher kaum, dass al-Bīrūnī auch ein eifriger Büchersammler und leidenschaftlicher Büchernarr war, und unter den skurrilen Angehörigen dieser merkwürdigen Spezies war er mit Sicherheit einer der beharrlichsten. Er verbrachte seine Zeit gern in staubigen Bibliotheken und dämmrigen Buchhandlungen, wo er jene Werke aufzuspüren versuchte, die er nur vom Hörensagen kannte und deren
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