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- Das Haus der kalten Herzen

- Das Haus der kalten Herzen

Titel: - Das Haus der kalten Herzen
Autoren: Sarah Singleton
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gut zu ihr gewesen war, zeigte sich auf einmal ihrem Leiden gegenüber völlig gleichgültig. Leben konnte einfach dahingerafft werden. Trotz all ihres Flehens zu Gott, ihrer verzweifelten Gebete und immer wieder vorgebrachten Wünschen vermochte Liebe sie nicht gegen Verlust zu beschützen.
    Nach der Trauerfeier wurde der Sarg wieder geschlossen und auf den kleinen Friedhof hinausgetragen, auf dem die Eiben wuchsen. Der Trauerzug bewegte sich bis zu einem gähnenden braunen Loch in der Erde. Theklas Sarg wurde langsam in diesen nassen, matschigen Schlund hinabgesenkt. Wieder sprach der Priester. Trajan nahm eine Handvoll nasser Erde und ließ sie auf den Sarg fallen. Charity tat dasselbe, danach Mercy. Sie konnte nicht an das Gesicht unter der Erde denken. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Schmutz, der an ihren Handschuhen klebte.
    Drei Krähen kreisten krächzend um die Kapelle. Eine landete auf dem Boden und sah mit ihren gefalteten Flügeln aus wie ein vornehmer Herr in Schwarz. Eine andere Krähe flog auf den Grabstein bei den Eiben. Der Wind zauste ihre Federn.
    Das Begräbnis war vorüber. Alle waren gegangen.
    Mercy stellte sich vor, wie ihr Vater ihnen voran schweren Schrittes zum Haus zurückging. Nach der Beerdigung würde Trajan die Dienstboten entlassen und wegschicken, alle, bis auf Galatea und Aurelia, die mit ihnen aus Rom gekommen waren. Er würde Aurelia Anweisung geben, die Vorhänge zuzuziehen und die Läden zu schließen. Die Porträts von Thekla und Claudius waren abgehängt worden und standen bereit, um auf dem Dachboden weggesperrt zu werden.
    Sie stellte sich Trajan vor: in der Bibliothek, mit einem roten Buch, wie er eine Geschichte über das Haus schrieb, die stark genug war, um der Wirklichkeit eine neue Gestalt zu geben. Magische Worte, wie das »Shem« unter der Zunge des Golem. Denn Worte legen fest, was wirklich ist, dachte sie, und Geschichten geben allem einen Sinn, was in unserem Leben passiert. Mit Worten meißelte er die Form des Hauses. Er beschrieb fünf Tage und gönnte Claudius einen perfekten Tag mit Marietta, ebenso wie einen letzten Tag am Rand des Zauberbanns, durch den Trajan wie ein Geist mit seinen Töchtern spuken würde. Die Szene entwickelte sich, Trajan saß über seine Arbeit gebeugt, konzentrierte sich auf seinen Zauber, während das Haus sich um ihn herum veränderte. Die Linien der Vergangenheit und der Gegenwart krümmten und wanden sich zu einer neuen Gestalt.
    So versteckte Trajan die Vergangenheit und hypnotisierte sie alle in den ewig gleichen dunklen Tag hinein, an dem das Haus fortan verborgen blieb. Draußen war die Welt indessen ihren Weg weitergegangen, Jahr für Jahr.
    Mercy stellte sich ihren Vater vor, einen Mann, der eine außergewöhnliche und unerwünschte Macht hatte und der ihr Leben in seinem roten Buch fixierte. Er hatte nicht anders sein wollen. Er hatte sie nach England gebracht, um ein normales Leben zu führen. Seine magische Gabe hatte er so selten benutzt. Jetzt benutzte er sie, um die Vergangenheit wegzuschließen und die Zukunft zu stehlen, weil er die Konsequenzen fürchtete, die Mariettas Tod haben würde, und weil er nicht ohne seine Frau leben wollte. Wie genau doch die dunkle, eisige Nacht, der endlose Winter, in dem nichts je wuchs, sein eigenes Herz wiederspiegelten, das vor Kummer gefroren war.
    Auf dem winterlichen Friedhof schüttelte Mercy den Kopf. Theklas Grab hatte jetzt einen Grabstein aus Marmor. Büschel von Schneeglöckchen blühten, wo sie begraben lag. Der Wind kitzelte die gesenkten weißen Köpfe der Blumen. Eine dieser Blumen hatte Claudius gepflückt und sie auf ihr Kopfkissen gelegt.
    Mercy war wieder allein. Sie stellte sich gerade hin.
    »Mutter«, sagte sie. »Ich muss mit dir sprechen. Ich möchte die Geschichte beenden.«
    Die Krähe auf dem Gras flatterte mit den Flügeln und stakste davon. Abgesehen davon war es still auf dem Friedhof.
    »Ich glaube, ich verstehe, was geschehen ist, aber ich habe eine Frage, die nur du beantworten kannst. Ich weiß, du bist tot, und ich glaube, Trajan hat ein Stück von dir gefangen, hier, in der Mitte seines Zauberbanns, damit er dich nicht ganz und gar verliert. Aber, wir sind auch gefangen, Charity und ich, und wir wollen wieder leben. Ich muss wissen, was ich tun soll.«
    Der Wind riss ihre Worte mit sich. Die Schneeglöckchen nickten.
    »Bitte«, sagte sie. »Bitte, hilf mir.«
    Mercy wartete. Die Wolken rasten. Dann wurde die Luft dick, das Atmen war
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