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Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept
Autoren: Roger Fisher
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Leuten: »Also, wer hat zur Arbeitsniederlegung aufgerufen?«
    Schmidt tritt vor. »Ich. Wieder war dieser Mistkerl, der Vorarbeiter Meier, dran schuld. Zum fünften Mal in zwei Wochen hat er mich jetzt von unserer Gruppe weggeholt, und ich musste anderswo jemanden vertreten. Immer hat er’s mit mir; ich hab keine Lust mehr. Warum soll immer ich die Dreckarbeit tun?«
    Der Gewerkschafter spricht Meier an: »Warum nehmen Sie immer gerade Schmidt? Er sagt, dass Sie ihn schon fünfmal in zwei Wochen zur Vertretung abgeordnet haben. Was ist denn eigentlich los?«
    Meier: »Ich nehme Schmidt, weil er mein bester Mann ist. Er kann meines Erachtens eine Gruppe jederzeit auf Vordermann bringen, wenn deren Leiter fehlt. Ich setze ihn auch nur dann ein, wenn irgendwo wirklich der wichtigste Arbeiter fehlt, sonst nehme ich Müller oder sonst jemanden. Aber zurzeit fehlen eine Menge wichtige Leute, weil überall die Grippe grassiert. Mir war auch nicht klar, dass der Schmidt was dagegen hat. Ich dachte, er trägt gern Verantwortung.«
    Eine andere konkrete Situation. Der Rechtsanwalt einer Versicherungsgesellschaft spricht mit dem zuständigen Referenten der Aufsichtsbehörde:
    »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie Zeit für mich haben. Ich möchte mit Ihnen über ein paar Probleme mit der Präsumptivklausel bei der |42| Regulierung von Haftpflichtfällen sprechen. Die Formulierung der Klausel benachteiligt offenbar diejenigen Versicherer, deren Policen derzeit Regulierungsgrenzen enthalten. Wir würden gerne mal fragen, wie man das ändern kann.«
    Der Beamte unterbricht: »Herr Bernhard, Ihre Gesellschaft hatte doch lange genug Gelegenheit, während der Hearings sämtliche Einwände in meiner Abteilung vorzutragen, ehe das Ganze beschlossen wurde. Ich habe diese Hearings selbst durchgeführt, Herr Bernhard. Ich habe jedes Wort der Sachverständigen gehört und den Schlussbericht darüber persönlich verfasst. Wollen Sie sagen, dass ich da etwas falsch gemacht habe?«
    »Nein, aber.«
    »Wollen Sie sagen, dass ich da unfair war?«
    »Natürlich nicht, aber ich denke, diese Regelung hatte Konsequenzen, die niemand von uns vorausgesehen hat, und.«
    »Hören Sie mal, Herr Bernhard, als ich diesen Job übernahm, habe ich öffentlich versprochen, mit diesen tödlichen Haartrocknern und den 30   000-Euro-Bomben, die man Autos nennt, aufzuräumen. Und die neuen Vorschriften haben genau das erreicht. Ihre Gesellschaft hat mit dem Haftpflichtgesetz im letzten Jahre 50 Millionen Euro Profit gemacht. Halten Sie mich für einen Narren, dass ich hier herkomme und dann über ›unfaire Vorschriften‹ und ›unvorhergesehene Konsequenzen‹ palavere? Ich will davon nichts mehr hören. Guten Tag, Herr Bernhard.«
    Was nun? Soll der Versicherungsanwalt den Beamten in diesem Fall unter Druck setzen und in Kauf nehmen, dass er sich ärgert und man vielleicht gar nichts erreicht? Die Versicherungsgesellschaft ist an vielen Geschäften interessiert, und gute Beziehungen zum zuständigen Beamten sind wichtig. Oder soll er die Sache auf sich beruhen lassen, obwohl er die Vorschrift für unfair hält und meint, dass sie langfristig auch gegen das öffentliche Interesse verstößt, und obwohl er sicher ist, dass auch die Experten während der Hearings dieses Problem nicht erkannt hatten?
    Was passiert in solchen Fällen?
    |43| Verhandlungspartner sind zuallererst Menschen
    Ob juristische Auseinandersetzungen oder internationale Verhandlungen – eine Grundtatsache wird leicht vergessen: dass die »Gegenseite« nicht aus abstrakten Repräsentanten besteht, sondern aus Menschen. Sie werden von Gefühlen geleitet, von tief verwurzelten Werten. Sie stammen aus unterschiedlichen Bereichen, vertreten gegensätzliche Standpunkte, und sie sind nicht vorausberechenbar. Für Sie selbst gilt das übrigens ganz genauso.
    Dieser menschliche Aspekt kann beim Verhandeln nützen oder aber auch stören. Die Erarbeitung der Übereinkunft schafft möglicherweise aufgrund psychologischer Verbundenheit wechselseitig befriedigende Ergebnisse. Ein zunehmend engeres Verhältnis, in dem Vertrauen, Verständnis, Respekt und Freundschaft über lange Zeit hinweg aufgebaut werden, erleichtert vielleicht jede neue Verhandlung und macht sie effizienter. Menschen sehen sich selbst gern in bestem Licht und achten auf die Wertschätzung durch die anderen. Das macht sie oft aufgeschlossener für die Interessen des Verhandlungspartners. Aber Menschen können auch ärgerlich,
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