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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition)
Autoren: Jörg Luzius
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du schon viele Dinge gesehen, die mir fremd vorkommen würden.“
    Daran zweifelte ich, erwiderte jedoch nichts.
    Einer der Zirkusleute kam an uns vorbei und warf uns einen vieldeutigen Blick zu. Sarina schien das etwas unangenehm zu sein.
    „Ich habe den ganzen Tag an meinem Auftritt gearbeitet“, sagte sie unvermittelt. „Und eigentlich wollte ich jetzt noch einen kleinen Spaziergang über die Felder machen. Aber vielleicht magst du mich ja begleiten?“
    Natürlich wollte ich. Den Gedanken daran, dass ich schon wieder im Begriff war, Ärger herauf zu beschwören, weil ich nicht sofort nach der Vorstellung nach hause gegangen war, wie ich es eigentlich versprochen hatte, verdrängte ich schnell.
    Bald schon wurden die Lichter der Fackeln und Öllampen hinter uns von der Nacht verschluckt, doch der Mond stand hell am Himmel und erleuchtete unseren Weg. Schweigend gingen wir eine Weile nebeneinander her.
    „Ich habe nicht oft Kontakt zu Einheimischen, weißt du.“, sagte sie irgendwann. Ich sah sie überrascht an. Sie konnte meinen Gesichtsausdruck wohl kaum richtig gesehen haben, doch schien sie meine Verwunderung über ihre Worte zu spüren.
    „Zum einen liegt das wohl auch daran, dass meine Eltern es nicht gerne sehen, wenn ich mich zu sehr mit Leuten abgebe, die nicht zu uns gehören“, erläuterte sie. Wobei dieses „uns“ einen sehr eigenartigen Klang hatte, wie ich fand. „Zum anderen aber“, fuhr sie fort, „ist es wohl auch so, dass die Menschen uns mit einem gewissen Misstrauen gegenüber stehen. Sicher, sie kommen in unsere Vorstellungen und bewundern unsere Auftritte. Aber irgendwie ist es doch, als sähen sie uns mit der gleichen distanzierten Neugier an, wie unsere Tiere. Sie sind irgendwie fasziniert – trotzdem sind sie ganz froh, dass die Gatter dazwischen sind.“
    Ich verstand was sie meinte. Ich brauchte mir nur die eindringlichen Warnungen meines Vaters in Erinnerung zu rufen. Die Menschen lebten in ihren Gemeinschaften – in eigenen abgeschlossenen Welten. Kontakte zu anderen Gemeinschaften gab es nur wenn es unabdingbar erschien. Die Fahrenden Händler waren so ein Beispiel. Doch auch mein Vater war durch den Viehhandel immer wieder gezwungen, kurze Reisen zu unternehmen. Dennoch schien er anderen Gemeinschaften gegenüber, noch weniger aufgeschlossen zu sein, als alle anderen, so kam es mir vor.
    „Die Menschen stehen für gewöhnlich jedem misstrauisch gegenüber, der von außerhalb ihrer eigenen kleinen Welt kommt“, bestätigte ich. „Aber ich wusste nicht, dass das überall so ist. Wenngleich ich auch zugeben muss, dass ich das bereits annahm.“
    Sie nickte.
    „Oh, ja. Selbst in der großen Stadt Dublin ist das kaum anders. Da kommen wir eigentlich her. Ich meine damit meine Eltern und mich. Die meisten der anderen Familien jedoch gehören dem Zirkus bereits seit Generationen an. Meine Eltern haben sich vor vielen Jahren dem Zirkus angeschlossen. Ich war damals noch ganz klein. Doch jedes Jahr schlagen wir dort unser Winterquartier auf, dann besuchen wir unsere Verwandten.“
    Zum Teil hatte sie sicherlich meine Faszination an ihren Schilderungen registriert, zum Anderen aber schwelgte sie in Erinnerungen an ihre Heimat, so dass sie fortfuhr, ausführlich von dieser großen Stadt zu erzählen.
    Dublin war die größte Stadt der Welt, so erfuhr ich. Mehr als 30.000 Mensch lebten dort. Eine Zahl die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Wenn man das Umland mit einrechnete, mochten es sogar über 40.000 sein – das zu glauben jedoch, weigerte sich mein Verstand schlichtweg. Viel weiter nördlich sollte es noch eine weitere Stadt geben, welche angeblich beinahe ebenso groß wäre. Ich hielt Sarinas Angaben für stark übertrieben, ließ mir meine Ungläubigkeit über ihre Worte jedoch nicht anmerken. Gelegentlich fuhren Handelsschiffe die Küste hinauf, doch nicht oft. Zwei bis dreimal im Jahr vielleicht. Doch selbst die Schiffer waren eine in sich gekehrte Gemeinschaft, die für gewöhnlich nur wenig berichteten über ihre Reisen. Das Leben, das sich konzentrierte auf kleine mehr oder weniger in sich geschlossene Gemeinschaften, schien offenbar in allen Gegenden der Welt üblich. Ein Lebensstiel der allgemein das Maß aller Dinge war und von der Kirche gepriesen wurde. Einzig die Kirche selbst, schien die alleinige gemeinschaftsübergreifende Verbindung zu sein, zwischen all diesen kleinen Welten.
    In der dunklen Zeit vor dem Neubeginn musste das jedoch ganz anders
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