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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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oder Schwarz. Auch hier trug sie die Musik des Spiels über ihre Beschränktheit hinweg. Schlitten um Schlitten, die aus einer Eisbahn herausschossen. Dann wieder mürbes Papier, das paßgenau auf den Filz flappte. Der knappe Befehl einer Bankangestelltenstimme auf französisch, so klang es romantisch und ungefährlich, ein genuschelter Einsatz, eine Wagemutigkeit zwischen den Zähnen herausgepreßt. Sie roch den Schweiß, der durch Membrane sorgfältig aufgetragener Deodorants diffundierte. Sie roch Männer bei der Arbeit. Goldene Zimtparfüms, so trocken, daß sie in der Nase kitzelten. Und immer wieder feuchtwarme Hände und das Papier, das an ihnen klebte. Sie hörte eine Frau mit sächsischem Akzent, sie gurgelte einen fröhlichen Satz. Kurz darauf Richards Stimme, zwischen dem Schlitten, dem Klappern, dem Schnalzen, dem unterallem liegenden Springbrunnenrauschen, und wie er leise »Kaufen, kaufen« sagte, das K ausgespuckt wie zu hart gewordenes Kaugummi.
    Kleine Schreie der Angst, ein Stöhnen der Lust, da hatte jemand gewonnen, die Sächsin lachte, von Richard war nichts zu hören. Katarina flüsterte seinen Namen, sie roch ihn kurz darauf. Eine glühende Beherrschung dünstete er aus. Sie meinte das Adrenalin zu riechen und seinen Herzschlag unter all dem feinen Zwirn zu hören, sie ließ ihre Nase ihre Hand lenken und fand seinen Körper. Sie umstreifte ihn. »Laß«, sagte er, das nächste Kaugummi ausgespuckt. Sie konnte es nicht lassen. Sie flankierte ihn zum Trost. Dabei wußte sie, so vollkommen klar, wie sie sonst beim Improvisieren um den nächsten Ton wußte, was er hier gerade verspielte.
    Sie liebte diesen Mann nie mehr als in diesem Moment, als seine Schwäche ruchbar wurde. Als seine Einsamkeit weit zu ihr hinüberreichte, wie ein Steg weit hinein ins Wasser reicht und das Ankommen erleichtert.
    Er hatte sie ihr zeigen wollen, nur ihr, seine Heimat, wo ihm kein Regelwerk und kein Mensch diktierte, an was er zu glauben, wie er zu leben habe. Wo die Illusion von Kontrolle herrschte, die pure Einbildung, daß das Spiel immer weiterging und das Ende gut sein würde. Er fühlte sich nicht fremd damit, den Zufall, der Gesetz und Grenze war, im Griff zu haben. Der Zufall konnte eine Heimat sein. Denn wer auf ihn vertraute, wer für ihn Partei ergriff, kam ja auch in den Genuß, immer wieder einen Fitzel Glück zu ergattern. Wie verlockend diese Heimat war, das wurde ihr klar. Denn wenn es Nachschub gab, brach hier nichts zusammen. Wenn es Nachschub gab, war hier die Welt in Ordnung.

D aß am Ende dieser Nacht ihr Erbe verspielt war, hatte den Vorteil, daß ihr dahintreibendes Leben ein Ende hatte und sie endlich arbeiten gehen mußte. Sie traf Anton, ihren dinosauriergleichen Großvater im halbdämmrigen Flur des Hauses – zwischen den Wandmalereien ihrer Brüder drehte er sich um zu ihr und fragte fast höflich, als frage er nach ihrem Befinden: »Ich hab’s nicht hingekriegt, Katjuscha. Aber wenn ich noch an etwas glaube, dann daran: Daß es nur Sinn macht, ehrlich mit sich selbst zu sein.«
    »Er hat mich nicht belogen«, sagte sie in einer ersten Lust am Widerspruch. »Er hat mir die Wahrheit gezeigt.«
    »Es geht nicht um ihn, es geht um dich.«
    Sie zog ihren Mantel an, sie mußte gehen, ihre Abendschicht im Hotel begann, hier würde sie von nun an mit Klavierspiel ihr Geld verdienen.
    »Katjuscha«, begann er mit wütendem Unterton, aber da war sie schon aus der Tür. »Auch ich glaubte mein Leben lang ein Fixstern, ein Unzerstörbarer zu sein«, rief er ihr hinterher, aber da fiel die Tür schon ins Schloß.
    Das Zittern kehrte in seinen Körper zurück. Eine Zeitlang hatte er es geschafft, die Anfänge davon, seine Rückkehr zu ignorieren. Er wußte genau, woher es rührte und daß es keine Abhilfe gab, warme Handschuhe, eine Decke für die Füße. Es kam von tief drinnen, es war die gewachsene Angst, daß plötzlich einer dieser gleichgesichtigen Männer vor seiner Tür stehen konnte und er ins Hintertreffen geriet, weil er denjenigen nicht gleich erkannte. An Herrn Brehm meinte er sich ganz gut erinnern zu können – er hatte durch Unauffälligkeit bestochen, durch seine höfliche, aufmerksame Art. Es war lächerlich, ihn so beharrlich mit dem Namen in Verbindung zu bringen, es war schließlich eine Tarnung. Das Gesicht des anderen konnte Anton nicht mehr rekonstruieren, er schien alle Anhaltspunkte vergessen zu haben, wie ausradiert, gerade noch die strenge Stimme meinte er wiederhören
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