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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Autoren: Erin Kelly
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es hat mir klargemacht, dass es noch nicht zu spät ist.«
    » Was willst du damit sagen?«
    » Ich bin zurückgekommen, weil ich mein Baby holen will.«
    Mir wird schwindlig, und das Lenkrad will mir aus der Hand rutschen.
    » Mir ist gar nicht gut«, sage ich und halte bei der erstbesten Gelegenheit an, bei der Kreuzung, wo das Baugelände ist. Der Umweg durch die Baustellenzufahrt liegt wenige Meter vor mir. Ich lege das Kinn auf das Steuer, und mein Blick wandert über die trostlose kleine Landschaft mit ihren Mobiltoiletten und dem dunklen Imbisswagen. Die Männer arbeiten hier bis tief in die Nacht hinein, aber jetzt sind die Flutlichter abgeschaltet, und das einzige Licht ist das meiner Scheinwerfer und das matt orangegelbe Leuchten der Sicherheitslampen, die an Kränen und Baggern hängen. Betonröhren, breit genug, um mit dem Auto hindurchzufahren, liegen aufgestapelt da und warten darauf, auf die Seite gedreht und in Gruben im Boden versenkt zu werden.
    Neben mir kommt Unruhe auf; Biba wühlt eine verbeulte kleine, grüne Blechdose und ein Päckchen Zigarettenpapier hervor. » Kannst du das draußen machen?«, sage ich. Sie fummelt dilettantisch an der Tür herum, bis ich über sie hinweggreife und die Verriegelung löse.
    Draußen weht ein böiger kalter Seewind. Wir sind fast eine Meile weit von der Küste entfernt, aber ich kann das Salzwasser riechen. Wir sind auf meinem Territorium, und der Gedanke beruhigt mich. Biba benutzt die offene Autotür als Schutz vor dem Wind. Eine schmutzige, gelbe Betonmischmaschine ist immer noch warm; anscheinend sind die Arbeiter erst seit wenigen Minuten weg. Blaue Planen sind über Bergen von Hohlblocksteinen festgezurrt, groß wie Häuser. Die Planen flattern geräuschvoll, und ich muss lauter sprechen.
    » Die Sache ist die…«, fange ich an. » Es ist alles ziemlich kompliziert. Alice glaubt, Rex und ich sind ihre Eltern. Von dir weiß sie überhaupt nichts. Du kannst jetzt nicht einfach aufkreuzen und glauben, du könntest glückliche Familie spielen.« Biba sagt nichts. Jetzt fällt es mir wieder ein: Wenn sie angefangen hat, eine Zigarette zu drehen, spricht sie erst wieder, wenn sie einen Zug genommen hat. In mancher Hinsicht sind wir Fremde, aber in anderer kennen wir uns immer noch sehr genau. » Wir müssen uns auf eine Geschichte einigen.« Meine Füße schlittern und rutschen über eine Fläche, wo der Beton noch feucht ist, und ich streiche ihn mit der profillosen Sohle meines Stiefels wieder glatt. » Ich dachte mir, wir könnten dich Alice als ihre lange verschollene Tante vorstellen. Wir können ihr sagen, du bist jahrelang auf Reisen gewesen, und wir haben den Kontakt verloren. Ich meine, das stimmt ja auch irgendwie.« Beim dritten oder vierten Versuch brennt ihre Zigarette. Der Wind treibt ihr den Rauch ins Gesicht, weg von mir.
    » Nein.« Ihre Stimmlage hat sich verändert. Aus Quecksilber ist Stahl geworden.
    » Es muss sein. Sie ist ja nicht dumm. Sie wird auf den ersten Blick sehen, dass du eine Verwandte bist!«
    » Nein.« Sie seufzt, als müsste sie einem kleinen Kind etwas Trauriges erklären. » Du verstehst nicht. Ich will als ihre Mutter zurückkommen.«
    Ich schmecke Galle auf der Zunge. Warum habe ich das nicht kommen sehen?
    » Oh, Biba, nein«, sage ich. » Nicht das. Ich bin die einzige Mutter, die Alice je gekannt hat. Ich meine, das wolltest du doch, oder? Als du mir den Zettel geschrieben hast? Du hast geschrieben, ich soll für sie sorgen. Ich sage nicht, du kannst nicht zurückkommen. Aber nicht so.«
    » Ich kann und ich werde«, sagt sie, und ich weiß, sie ist dazu fähig. Ich erinnere mich, wie ich Biba das letzte Mal mit Alice gesehen habe– wie sie das frierende Baby in der schmutzigen Windel mit gefährlich lockerer Hand über das Balkongeländer im sechsten Stock hielt. Jetzt ist sie eine ebenso große Gefahr wie damals.
    Der Wind wechselt die Richtung, und der Geruch von Bibas Zigarette reißt mich wie ein Riechsalz aus meinen Erinnerungen. Natürlich habe ich seitdem noch Zigarettenrauch gerochen, aber den würzigen, holzigen Duft von frisch gedrehtem Tabak habe ich nicht mehr eingeatmet, seit ich sie zuletzt gesehen habe, und er entrückt mich. Durch meine geschlossenen Lider sehe ich nicht die üblichen Bilder, die mich sonst verfolgen, sondern eine Montage aus Szenen vom Anfang jenes Sommers, bevor Guy kam. Der Wald. Das Samtzimmer. Die Heide. Tanzend, küssend, trinkend. Ihr weißes Kleid, mein rotes. Rex. Biba.
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