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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Autoren: Adriana Lorusso
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Saz Adaï wie dich gehabt zu haben.«
    »Du erteilst mir einen Befehl? Mir? Bist du verrückt geworden, Mädchen! Ich bin die Alte!«
    »Wenn du mich zwingst, dich vor den Rat zu rufen, um dich dort zu rechtfertigen, werde ich mit Vergnügen dabei sein, wenn sie deine Clan-Tätowierung entfernen und dir den Kopf rasieren. Danach wirst du in die Minen gehen, wo du leben oder sterben kannst, ohne dass ein einziges Mitglied des Huang-Clans sich darum schert. Du wirst nicht mehr die Alte sein, du wirst nicht einmal mehr eine Shiro sein, du wirst überhaupt nichts mehr sein. Aber vielleicht hast du recht, wenn du mich eine halbe Asix nennst. Ich habe ein weiches Herz und erlaube dir, sofort zu sterben. Entscheide dich schnell, denn wie du weißt, ist meine andere Hälfte eine Shiro, und diese Shiro hat keine Lust, mit solch unwichtigen Dingen Zeit zu vergeuden.«
    Odavaïdar schaute sie ein paar Minuten schweigend an; dann verbeugte sie sich tief, ohne ein Wort zu sagen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah Suvaïdar zum ersten Mal einen Ausdruck der Anerkennung in den Augen der Alten.
    Odavaïdar öffnete den Kragen ihrer Tunika und bot ihren Hals dar, warf ihre Haare nach hinten und machte ein zustimmendes Zeichen. Suvaïdar stand auf und stellte sich hinter die Alte. Sie bereitete sich darauf vor, dieselbe traditionelle Geste zu vollziehen, wie sie es für David Ricardo getan hatte. Der Berater hatte ebenfalls das Shiro-Privileg wahrgenommen und sie gebeten, ihm dabei zu helfen.
    Suvaïdar zwang die Alte in die Knie, zückte ihr kurzes Messer und schnitt ihr mit einer einzigen schnellen Bewegung die Kehle durch. Dabei achtete sie darauf, sich nicht mit dem Blut zu beschmutzen, das aus der Halsschlagader schoss. Diszipliniert bis zum letzten Atemzug, hatte Odavaïdar nicht versucht, Widerstand zu leisten. Das einzige Geräusch, das man nun hörte, war das Gurgeln des Blutes, das aus den durchtrennten Arterien quoll.
    Suvaïdar musste nicht darauf warten, bis die alte Dame tot war. Diese sank schon vorher in die rituelle Position, die Arme gespreizt und ausgestreckt. Suvaïdar wischte ihr Messer an der Tunika der Alten ab und ging gleichgültig aus dem Zimmer. Im Sanitärbereich auf der Etage wusch sie sich sorgfältig; dann ging sie in ihr Zimmer zurück, in dem Néko, ein kleiner Schatten, im Dunkeln vor dem Fenster saß und bereits auf sie wartete.
    »Kannst du dich um Middael kümmern?«, fragte Suvaïdar. »Es muss bis morgen früh erledigt sein. Du kannst mein Zimmer benutzen, wenn du willst.«
    »Mit Vergnügen.«
    Einen Herzschlag lang verspürte Suvaïdar diesem genetischen Irrtum namens Middael gegenüber beinahe so etwas wie Mitleid.
    Schließlich ging sie in den Hof und hielt auf die provisorischen Hütten zu. Man konnte nie wissen – womöglich würde sie nach der Versammlung des Clans am nächsten Tag nicht mehr die Gelegenheit haben, mit einem jungen Asix die Matte zu teilen. Vielleicht konnte sie nichts anderes mehr tun, als in den Fechtsaal zugehen, wo jedes Mitglied ihres Clans um die Ehre buhlen würde, der Erste sein zu dürfen, der mit ihr die Klingen kreuzt ...
    »Eigentlich ist es Sache des Rates, sich mit Middael auseinanderzusetzen«, murmelte sie vor sich hin, »doch um Odavaïdar musste ich mich persönlich kümmern. Es war eine Frage der Ehre. Und was bleibt einem Shiro ohne Ehre noch, wie Oda gesagt hat?«
    Äußerlich völlig ruhig, machte sie sich auf die Suche nach einem geeigneten männlichen Asix, der ihr für die Nacht Gesellschaft leistete. An Bewerbern hatte es ihr nie gefehlt, doch seitdem ihr Gesicht Narben aufwies, die von einem Duell herrührten, waren vor allem die jungen Asix von ihr fasziniert.
    *
    Am nächsten Tag wartete sie ab, bis sich möglichst viele erwachsene Shiro im Gemeinschaftssaal zum Frühstück eingefunden hatten. Dann erhob sie sich und erklärte:
    »Ich bitte um die Einberufung des Rates.«
    Alle warfen ihr einen Blick zu und versuchten, ihre ausdruckslose Miene zu wahren.
    »Die Saz Adaï beruft den Rat ein«, bemerkte die Verwalterin.
    »Hast du dich bereits an sie gewandt?«, fragte eine andere Stimme.
    »Der Clan hat keine Saz Adaï mehr. Vergangene Nacht habe ich Odavaïdar geholfen, das Shiro-Privileg wahrzunehmen.«
    »Sie hat das Shiro-Privileg gewählt? So plötzlich? Wieso?« Die Verwalterin runzelte misstrauisch die Stirn.
    »Ich habe gesagt, sie hat es wahrgenommen, nicht, dass sie es gewählt hat«, erwiderte Suvaïdar mit schneidender Stimme,
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