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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Autoren: Adriana Lorusso
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ebenfalls unter die Dusche. Das Wasser war eiskalt, denn es kam direkt aus den Gletschern des Corosaïgebirges, dessen Name so viel wie »Kristallcollier« bedeutete. Mit seinen hohen Schneegipfeln und Eiszacken, die das ganze Jahr weiß und frostig blieben, markierte das Gebirge die nördliche Grenze des Hochlandes.
    Nach dem Duschen ließen Lara und Wang sich voller Wonne in das große Becken gleiten, dessen Wasser sich im Lauf des Tages auf eine angenehme Temperatur erwärmt hatte.
    Tarr kam zu ihnen. Lara und Wang bespritzten lachend sein Gesicht, worauf Tarr ein Grunzen ausstieß, seine großen Hände auf die Köpfe der beiden Geschwister legte und sie unter Wasser drückte. Hustend und prustend tauchten sie wieder auf und lieferten sich eine fröhliche Balgerei mit dem Asix. Der war bereits erwachsen, kräftig gebaut und stark wie ein Ochse.
    »Hört sofort auf!«, rief Dol, der allmählich der Geduldsfaden riss. »Ihr macht mir die Kleinen ganz verrückt! Tarr, komm sofort aus dem Wasser, und hol das Abendbrot aus der Küche.«
    Tarr gehorchte ohne zu murren. Er kletterte aus dem Becken, schnappte sich ein Handtuch und rubbelte sich unter dem kritischen Blick seiner Pflegemutter die behaarte Brust und die kurzen, kräftigen Beine ab.
    »Wie schrecklich behaart du bist!«, sagte Dol und verzog das Gesicht.
    Tarr antwortete nicht. Auch sonst reagierte er nie auf die kritischen Worte Dols. Aber die Kleinen, die bereits sprechen konnten, jaulten freudig und riefen: »Be-haart, be-haart!« Dol ließ sie gewähren, doch Lara machte dem Lärm ein Ende, indem sie dazwischenfuhr:
    »Das reicht jetzt! Ihr müsst Tarr Respekt entgegenbringen. Er ist erwachsen.«
    Lara und die anderen stiegen nun ebenfalls aus dem Becken; dann gingen alle ins Haus. Die Lampen aus Ölpapier wurden angezündet. Tarr kam von seinem Botengang zurück. In der einen Hand hielt er einen großen Kochtopf, in der anderen ein dickes Bündel.
    Dol nahm ihm beides ab und stellte den Topf auf den Tisch. Er enthielt eine fade Gemüsesuppe, die auf wenig Begeisterung stieß. Dann öffnete sie das Bündel und holte ein dickes Stück Käse und einen ansehnlichen Laib Schwarzbrot heraus, der gerade aus dem Backofen kam und herrlich duftete. Die ganz Kleinen, die die Selbstkontrolle der Shiro noch nicht beherrschten, glucksten vor Freude, als sie die Köstlichkeiten sahen.
    Abgesehen von Lara und Wang lebten hier sechs kleine Shiro. Vier konnten bereits selbstständig essen, einen musste Tarr noch füttern. Dann gab es noch einen Säugling, den Dol an der Hüfte trug, die seit der Schwangerschaft deformiert war.
    »Lara und Wang«, sagte sie. »Ihr braucht morgen nicht in die Schule. Ihr seid ins Lebenshaus bestellt.«
    »Hurra!«, rief Wang, denn er hasste die Schule und träumte immerzu von Ferien. Lara dagegen mochte die Besuche im Eugenik-Zentrum nicht. Sie waren wie eine Prüfung, auf die man sich nicht vorbereiten konnte.
    An diesem Abend blieb Lara einige Zeit in sich versunken vor der Fensterscheibe sitzen, die ihr als Spiegel diente. Eine Hautfarbe wie Lebkuchen, die Gliedmaßen haarlos, die Haare schwarz und glatt, eine Adlernase, dünn und markant – scheinbar war bei ihr alles so, wie es sein sollte. Sie bot das perfekte Bild einer heranwachsenden Shiro, die sich darauf vorbereitete, eine weitere Trockenzeit zu erleben und die wusste, welche Mängel eine Ärztin mit ihren medizinischen Geräten bei ihr feststellen konnte.
    Am nächsten Morgen kämmte Lara sich besonders sorgfältigund nahm auch Wang in Augenschein. Obwohl sie gerade einmal drei Monate älter war als er, verlangte sie mit der ganzen Autorität einer älteren Schwester von ihm, sich noch einmal Gesicht und Hände zu waschen, an denen Reste des Frühstücks klebten. Schließlich reichte sie ihm den Kamm. Wang fuhr sich damit durchs Haar, das ihm – wie Lara – bis tief auf den Rücken fiel. Dann machten sie sich Seite an Seite auf den Weg, ohne dabei einander zu berühren; Shiro gingen nicht Hand in Hand durch die Straßen.
    Wie alle bedeutenden öffentlichen Gebäude befand sich auch das Lebenshaus im Stadtzentrum. Es war ein großer, eingeschossiger Bau. Die kostbaren medizinischen Apparate standen in künstlich geschaffenen Felshöhlen im Kellergeschoss, um sie vor den orkanartigen Stürmen zu schützen, die zweimal im Jahr über die Stadt hinwegjagten.
    Zusammen mit einer kleinen Gruppe anderer Heranwachsender traten Lara und ihr Bruder ein. Ein Asix verglich ihre Namen mit
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