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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris
Autoren: Anke Dietrich
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ein schlechter Scherz«, beendete ein anderer Tourist den Satz.
    »Das glaube ich nicht«, widersprach der Fremdenführer. »Es wurden vereinzelte Hinweise gefunden, dass es zur Zeit von Ramses VII. einige sonderbare Vorfälle in Bezug auf die Besetzung von Posten gegeben haben muss. Erst jetzt kann, besser, versucht man, es richtig einzuordnen. Früher glaubte man immer an Schreibfehler etwas zu ungeschickter oder überforderter Beamter. Aber nun? Vielleicht liegt ja hier der Schlüssel zur Erklärung.«
    Mit einer Handbewegung forderte er die Gruppe auf, ihm in den nächsten Raum, die Sarkophagkammer, zu folgen. Er trat hinter den großen steinernen Sarg und stützte sich mit den Handflächen auf den äußeren Rand. Mit Genugtuung registrierte er, dass sich die Touristen in der Grabkammer umsahen und dass das, was sie dort erblickten, auf ihren Gesichtern verständnisloses Unbehagen zeichnete.
    »Ja, meine Damen und Herren, wie Sie hier sehen können, haben Pharaos Handwerker ganze Arbeit geleistet. Die gesamte Oberfläche der rechten Längswand wurde entfernt, und auch an den anderen Seiten wurden die Bildnisse zweier Personen getilgt, so wie Sie das bereits in den Zugangskorridoren bemerkt haben werden. Da auf der linken Wand die Erfolge der Dame Meritusir verzeichnet sind, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass auf der rechten die Erfolge desjenigen verewigt waren, der hier ursprünglich ebenfalls seine letzte Ruhe finden sollte. Und da im alten Ägypten die linke Seite gut für die Frauen war und die rechte gut für die Männer, sind sie sich sicher, dass es sich um den Gemahl der Dame Meritusir handeln muss. Die andere Person ist der Sohn der Familie.«
    »Ist es nicht eigentlich ungewöhnlich«, schaltete sich ein älterer Herr nachdenklich ein, »dass eine Frau ihre Taten an die Wand ihres Grabes schreibt?«
    »Warum denn nicht?«, kam die junge Frau dem Fremdenführer zuvor. »Wenn sie tatsächlich Großes geleistet hat, warum sollte sie es nicht der Nachwelt mitteilen wollen.« Sie sah den älteren Herrn herausfordernd an. »Oder ist das nur ein Privileg für die Männer?«
    Ein Grinsen machte sich auf einigen Gesichtern breit. Auch Achmed schmunzelte und wandte sich dem vierzehnjährigen Jungen zu.
    »Du hast das vorhin gut beobachtet. Es stimmt, es sieht so aus, als wäre das Bild von jemandem aus den Wandmalereien getilgt worden und auch der Name aus den Inschriften. Man geht inzwischen davon aus, dass es derjenige ist, mit dem Meritusir das Grab für Ramses VII. gebaut hat. Denn sie teilt uns im Hieroglyphentext mit, dass sie das Grab für ihren König an einem Ort errichten ließ,
wo niemand es wagen wird, seine ewige Ruhe zu stören. Seine Majestät ruht unter dem Schutze des Großen Gottes Osiris. Ich ließ das Westliche Haus Seiner Majestät Usermaatre Setepenre Ramses Netjer Heqaiunu mit Sicherheitsvorkehrungen wie noch nie dagewesen versehen, damit er zu seinem göttlichen Vater Re in die Barke gelangen kann. Das tat ich für Seine Majestät zusammen mit meinem ...
Und dann fehlt ein Stück vom Text. Allerdings kann man das nächste Wort beziehungsweise die folgenden zwei Hieroglyphen noch schwach erkennen – eine Hacke und eine Feder, die in ihrer Bedeutung zusammen mit einer weiteren Feder
meri
gelesen und mit
geliebt
übersetzt werden. Da wir der Dame Meritusir nun nicht unterstellen wollen, dass sie ein Verhältnis mit einem ihrer Berufskollegen hatte, kann man davon ausgehen, dass es heißen soll:
zusammen mit meinem geliebten Gemahl.
«
    »Ja, aber warum hat man denn das getan?«, wollte eine Frau verwundert wissen. Auch die meisten anderen Touristen blickten Achmed verständnislos an.
    »Das Auslöschen von Personen aus Malereien und Reliefs, doch vor allem die Tilgung ihrer Namen aus allen Schriftstücken und Bauwerken war für die alten Ägypter gleichbedeutend mit der Vernichtung des Ka, also dem, was wir als Seele eines Menschen beschreiben würden. Sie glaubten, dass ein Verstorbener, auch wenn sein Körper nicht erhalten bleibt, von den Göttern gefunden werden konnte, wenn sein Name irgendwo verzeichnet stand. Löschte man hingegen seinen Namen aus, so war das gleichbedeutend mit einem zweiten Tod – endgültig und unabänderlich. Niemals würde dieser Mensch die Chance erhalten, in die Unterwelt einzutreten. In unserem Fall hat es den Anschein, dass der Mann sowie der Sohn sich etwas so Schwerwiegendes zu Schulden kommen ließen, dass es mit dem Tod und dem Auslöschen ihrer
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