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Das Geheimnis von Winterset

Das Geheimnis von Winterset

Titel: Das Geheimnis von Winterset
Autoren: Candace Camp
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nachdenken.
    Eben hatte sie den Fuß des Bergs umrundet und befand sich nun auf dem langen, geraden Weg, der direkt bis nach Winterset führte. Ganz in Gedanken versunken, sah sie nicht auf das, was vor ihr lag, und es dauerte zudem eine Weile, bis sie das leise Geklapper von Hufen wahrnahm. Anna seufzte. Im Moment war ihr nicht danach zumute, mit irgendjemand auch nur ein paar höfliche Worte wechseln zu müssen, und sie überlegte, wie sie dem Reiter aus dem Weg gehen könnte - was natürlich nicht mehr möglich war, denn auf der gut einsehbaren Strecke würde er sie längst erblickt haben, und ihm nun auszuweichen, wäre sehr unhöflich. Also fügte sie sich ihrem Schicksal, wappnete sich mit einem Lächeln und sah auf.
    Das Pferd, ein großer, schlanker schwarzer Hengst, kam geradewegs auf sie zugetrabt, und der Reiter hielt sich mit müheloser Anmut auf dem Rücken seines Tieres. Er war hochgewachsen, hatte breite Schultern, und die Sonne ließ sein dunkles Haar rötlich schimmern. Noch war er zu weit entfernt, als dass sie sein Gesicht hätte erkennen können, aber Anna wusste auch so, dass er ein energisches Kinn und einen breiten Mund hatte und die Augen unter seinen dunklen Brauen grau waren. Es war Reed Moreland, der auf sie zugeritten kam.
    Wie angewurzelt blieb Anna stehen und war keines klaren Gedankens mehr fähig. In den letzten Tagen hatte sie zwar immer wieder an ihn gedacht, dennoch war es ein Schock, ihn nun tatsächlich zu sehen. Ihr entging nicht eine gewisse Ironie des Schicksals, als er ihr nun entgegenritt - genauso wie damals, als sie sich das erste Mal begegnet waren.
    Reed brachte sein Pferd einige Schritte von ihr entfernt zum Stehen und stieg aus dem Sattel. Einen langen Augenblick sahen sie sich wortlos an. Anna schlug das Herz auf einmal so heftig, dass sie glaubte, es würde ihr die Brust sprengen, und ihr wurde klar, dass keine einzige ihrer vielen Vorstellungen sie auch nur annähernd auf die Situation vorbereitet hatte, ihm erneut gegenüberzustehen.
    „Miss Holcomb." Er hielt die Zügel seines Pferdes und ging einen Schritt auf sie zu.
    „Mylord." Anna war ein wenig überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang. Eigentlich hätte sie genauso zittern müssen, wie sie selbst es innerlich tat.
    Sie ließ ihren Blick auf seinem Gesicht ruhen und suchte nach Anzeichen der Veränderung. War seine Haut gebräunter als früher? Hatte er mehr Falten um die Augen bekommen? Es traf sie wie ein Schock, wieder in seine Augen zu sehen, die von einer unbeschreiblichen silbergrauen Farbe waren und sie unter langen, dichten Wimpern hervor anblickten.
    In Anna stieg das unbändige Verlangen auf, die Hand nach Reed auszustrecken und ihm mit den Fingern das Haar zurückzustreichen. Wärme breitete sich tief in ihrem Leib aus. Sie erinnerte sich an das Gefühl seiner Lippen auf den ihren, an die Hitze seiner Haut und an seine starken Arme, die sie fest umschlungen hielten ... Anna schluckte und wandte den Blick ab. Sie hoffte, dass ihre Miene nichts von ihren Empfindungen verriet.
    Schließlich durchbrach Anna das unbehagliche Schweigen zwischen ihnen mit den erstbesten Worten, die ihr in den Sinn kamen: „Es hat mich ... überrascht, als ich davon hörte, dass Sie nach Winterset zurückkommen wollten."
    „Es schien mir unsinnig, das Haus zu behalten", erwiderte er. „Ich wollte es mir noch einmal ansehen ... und es dann verkaufen."
    „Das ist gut", bemerkte Anna und ärgerte sich sogleich darüber, wie unfreundlich ihre Worte klangen. Sie war verlegen und kam sich in ihren festen Wanderstiefeln, dem schlichten Kleid und ihrem einfachen Hut sehr linkisch vor. Wahrlich, sie sah aus wie ein Mädchen vom Lande, und Reed fragte sich bestimmt, was er jemals an ihr gefunden hatte. Warum nur muss ich das Pech haben, ihm in diesem Aufzug über den Weg zu laufen? Und was um alles in der Welt macht er jetzt schon hier? Sie hatte gehofft, dass ihr noch einige Tage Zeit blieben, um sich auf ein Zusammentreffen mit ihm vorzubereiten.
    „Ja, ich weiß, was Sie meinen", erwiderte er kurz.
    Er hasst mich immer noch, dachte sie. Genau das hatte sie erwartet. Niemand vergaß es so einfach, verschmäht worden zu sein - und der Sohn eines Dukes sicher noch weniger als andere Männer. Nur hatte sie ihm ihre Gründe nie erklären können, denn sie hätte es nicht ertragen, wie er sie angesehen und was er dann von ihr gedacht hätte.
    Da war es ihr schon lieber, wenn er sie für kalt und grausam hielt und glaubte, sie sei
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