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Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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tragen musste. Es würde ihn immer geben, den Trauerkorb. Ihr ganzes Leben lang. Schließlich schlief sie ein und träumte von Muazena und von den Geheimnissen des Feuers.
    »Wir sind angekommen«, flüsterte sie Muazena im Traum zu.
    »Wir sind angekommen und wir leben noch. Und ich habe das Meer gesehen.«
    Am nächsten Tag wurde Sofia sehr früh wach. Aber Lydia war natürlich schon aufgestanden. Als Sofia vor die Hütte trat und sich den Schlaf aus den Augen rieb, hockte dort Lydia und entfachte ein Feuer. Sie sah Sofia an und lächelte. Sofia dachte, dass es sehr lange her war, seit sie Lydia zuletzt hatte lächeln sehen. Das erfüllte sie mit großer Freude. Jetzt wusste sie, dass die lange Wanderung zu Ende war. Sie waren endlich angekommen. Hier würden sie wieder zu leben beginnen.

3.
    Eines Tages, als Sofia gerade draußen vor der Hütte fegte und Maria zum Wasserholen an den Fluss gegangen war, rief Lydia nach ihr. Sie war dabei, Mais mit dem großen Rundholz zu stoßen, und musste ihren Rücken strecken.
    »Du und Maria, ihr seid euch so ähnlich«, sagte sie und lachte. »Manchmal kann nicht einmal ich, die ich doch eure Mutter bin, euch unterscheiden. Trotzdem seid ihr keine Zwillinge.«
    »Und wer fegt gerade?«, fragte Sofia.
    »Jetzt sehe ich, dass du Sofia bist«, sagte Lydia. »Aber manchmal bin ich unsicher, wer wer ist. Dabei seid ihr doch ein Jahr auseinander. Maria wird immer ein Jahr älter sein als du.« Dann fuhr sie fort den Mais mit dem dicken, schweren Rundholz zu stoßen. Sofia fegte weit er und dachte über das nach, was Lydia gesagt hatte. Sie fand es seltsam, dass ein Mensch einen anderen nicht im Alter einholen konnte. Alles andere auf der Welt, was sie kannte, holte einander wachsend ein. Die Maispflanzen wurden früher oder später gleich groß, die Tomaten gleich rot, die Küken gleich groß. Aber Menschen wurden nicht gleich alt. Sie und Maria nicht.
    Im selben Augenblick sah sie Maria den Pfad vom Fluss mit der schweren Blechwanne voller Wasser heraufkommen. Sofia stellte den Besen beiseite und hoffte, Lydia würde nicht sehen, wie sie sich davonschlich. Lydia mochte es nicht, wenn man eine Arbeit unterbrach, ehe man damit fertig war. Maria würde das nie tun, dachte Sofia. Sie hätte erst fertig gefegt. Da gibt es immerhin einen Unterschied zwischen ihr und mir. Maria zog Grimassen wegen der schweren Wanne auf ihrem Kopf. Sofia half ihr, die Wanne abzustellen. Dann trugen sie die Wanne zwischen sich hinauf zur Hütte. Währenddessen erzählte Sofia, was Lydia gesagt hatte. »Wenn wir Kinder bekommen,- sind sie einander vielleicht auch ähnlich«, sagte Maria.
    »Es hängt wohl davon ab, wer ihre Väter sind«, antwortete Sofia. »Dass wir einander so ähnlich sind, kommt daher, weil wir Hapakatanda ähnlich sind.«
    Dann biss sie sich auf die Zunge. Entsetzt dachte sie, dass sie etwas getan hatte, was man nicht tun durfte. Sie hatte von ihrem toten Vater gesprochen.
    Maria machte ein Zeichen, dass sie die Wanne abstellen wollte. Dann setzte sie sich auf die Erde und Sofia tat es ihr nach.
    »Ich träume jede Nacht von Vater«, sagte Maria. »Ich träume, es ist Morgen und er sitzt draußen vor der Hütte.«
    »Du weißt, dass er tot ist«, antwortete Sofia. »Die Banditen haben ihn mit dem Beil erschlagen.«
    »Warum träume ich dann, dass er lebt?« Sofia wusste keine Antwort. Häufig war es so, dass Maria Fragen stellte und Sofia antwortete. Eigentlich hätte es umgekehrt sein müssen, da Maria die Ältere war und mehr hätte wissen müssen als Sofia. Aber diesmal hatte sie keine Antwort.
    »Werden wir immer hier wohnen?«, fragte Maria und Sofia merkte, dass ihr plötzlich traurig zu Mute war. Sie krümmte sich zusammen, als ob sie irgendwo im Körper Schmerzen hätte. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber eines Tages, wenn wir groß sind, können wir vielleicht nach Hause zurückkehren. Selbst wenn Lydia hier bleibt.«
    »Aber wie sollen wir nach Hause finden?«
    »Das wird schon gehen. Wenn wir es nur genug wollen, dann finden wir auch zurück.« Sie blieben eine Weile neben der Wanne mit Wasser sitzen und redeten. Sie versprachen einander, dass sie eines Tages, was immer geschah, nach Hause in das Dorf zurückkehren würden, das die Banditen niedergebrannt hatten.
    Als sie die Wasserwanne herbeitrugen, war Lydia böse. Sie redete schnell und laut und sie zeigte auf den Besen und sagte zu Sofia, eine richtige Frau stelle den Besen erst beiseite, wenn sie mit Fegen fertig
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