Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis des Feuers

Das Geheimnis des Feuers

Titel: Das Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
ihrem lautlosen Weinen gedacht. Wenn Maria auch noch etwas zustößt, bin ich allein übrig.
    Aber Lydia war dort gewesen. Am Rande des Dorfes, versteckt in einem Gebüsch, fanden Sofia und Maria sie, Alfredo war auch am Leben geblieben. Dort waren Lydia, Alfredo, zwei andere Frauen und drei Kinder. Sofia und Maria durften ihre Freude nicht herausschreien, vielleicht waren die Banditen noch in der Nähe und konnten sie hören. Sie umfassten einander nur und lagen den ganzen Tag im Gebüsch versteckt, ohne Wasser, ohne zu essen, und warteten, dass es wieder dunkel würde.
    Dann waren sie geflohen. In der ersten Nacht schlugen sie sich durch das kratzende Gebüsch, solange sie konnten. Danach trauten sie sich auch tagsüber zu wandern. Da sie nicht wussten, wohin, gingen sie einfach geradeaus, geradewegs hinaus in das trockene Land, hin zu den hohen Bergen, die am Horizont zu sehen waren. Sofia erinnerte sich an ihren Hunger. Aber der Durst hatte sie noch mehr gequält. Am dritten Tag zerstritt Lydia sich mit den anderen beiden Frauen darüber, in welche Richtung sie gehen sollten. Sie trennten sich und Lydia, Sofia, Maria und Alfredo wanderten weiter auf die Berge zu, während die anderen Frauen in eine andere Richtung abbogen. Sie gingen weiter und drehten sich nicht mehr um.
    Irgendwo auf dem Weg ins Unbekannte trafen sie eine alte Frau. Sie war sehr arm, ihre Kleider hingen in Fetzen an ihr herunter und die Beine waren geschwollen und voller Wunden. Sofia dachte, sie ist genauso alt wie Muazena. Plötzlich stand sie vor ihnen, und als Mama Lydia sie ansprach, konnten sie sich verständigen, denn ihre Sprachen waren ähnlich. Lydia erzählte, was geschehen war. »Das waren die Banditen«, sagte sie. »Sie sind in der Nacht gekommen und sie haben meinen Mann umgebracht.«
    »Wen noch?«, fragte die alte Frau. »Die Banditen sind Ungeheuer und sie töten niemals nur einen. Sie töten, so viele sie können.«
    »Sie haben alle im Dorf getötet«, antwortete Lydia.
    »Und die Hunde«, sagte Sofia. »Sie haben auch alle Hunde umgebracht.«
    Die alte Frau begann den Körper zu wiegen, sie warf den Kopf hin und her und stieß klagende Rufe aus. Lydia machte dasselbe, dann auch Sofia, Maria und Alfredo. Sie wiegten die Körper und jetzt trauten sie sich zu weinen und ihre Trauer und ihren Schmerz herauszuschreien, sodass es zu hören war. Dann gingen sie weiter auf die Berge zu. Die alte Frau folgte ihnen und sie teilte das Fleisch eines toten Vogels mit ihnen. In einem fast ausgetrockneten Flussbett fanden sie Wasser zu trinken. Nachts schliefen sie am Feuer unter mächtigen Baobabbäumen und es geschah, dass Sofia Maria weckte, als sie einen Löwen in der Dunkelheit brüllen hörte. Die alte Frau hatte ihnen nicht ihren Namen genannt. Aber sie hatte ein freundliches Lächeln, obwohl sie keinen einzigen Zahn mehr hatte.
    In Sofias Träumen kehrten die Monster zurück. Wenn eins der Ungeheuer erneut sein Beil über ihrem Vater erhob, wurde sie wach. Lydia schlief zusammengerollt, Alfredo dicht an ihren Körper geschmiegt. Die alte Frau schlief am Feuer, das jetzt nur noch schwach glomm. Maria lag an ihrer anderen Seite. Sofia dachte, dass vielleicht Muazenas Geist in der alten Frau wiedergekehrt war, die ihren Namen nicht nannte.
    In der frühen Morgendämmerung setzten sie ihre Wanderung fort, auf die Berge zu, die immer noch weit entfernt schienen. Plötzlich meinte Sofia zu hören, wie Mama Lydia die alte Frau nach der Stadt fragte. »Ich bin niemals dort gewesen«, antwortete die Alte. »Ist es weit bis dorthin?«, fragte Lydia. »Die Stadt liegt weit entfernt, damit solche wie du und ich und deine Kinder sie nicht erreichen. Meine Beine sind alt und voller Schwären, die deiner Kinder viel zu kurz und zu jung. Keiner von uns hat Beine, die dazu gemacht sind, die Stadt zu erreichen.«
    Lydia fragte nicht mehr. Schweigend gingen sie weiter. Es war sehr heiß. Sie versuchten sich vor der Sonne zu schützen, indem sie ihre Capulana (Farbiges Tuch, das die Frauen wie eine Art Wickelrock tragen.) um die Köpfe schlangen. Die alte Frau hatte noch ein wenig Wasser in einem schmutzigen Plastikbehälter. Doch als der Nachmittag schon weit vorangeschritten war, konnten sie noch immer keine Andeutung von Baumgruppen entdecken. Das wäre ein Zeichen gewesen, dass es in der Nähe Wasser gab. In der kurzen Dämmerung blieb die alte Frau plötzlich stehen und setzte sich mühsam auf die trockene Erde.
    »Bis hierher bin ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher