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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Autoren: Tereza Vanek
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Herzschlag hallte
in ihren Ohren wider. Aus einem Grund, den sie nicht begreifen
konnte, fühlte sie sich viel lebendiger als in den letzten
Jahren.

    ******

         Im
Hotel nickte sie kurz Rosie McGregor zu, die sie sogleich in ein
längeres Gespräch über die Lernfortschritte der Kinder
verwickelte. Es folgten ein paar scheinbar unverfängliche
Fragen, wie es Dewei im Kontor von Nathan Sassoon erging, doch kannte
Viktoria Rosie inzwischen gut genug, um die Hintergründe zu
durchschauen. Daisy, die älteste Tochter der McGregors mit dem
Madonnengesicht, und Dewei hatten in den letzten Monaten ungewöhnlich
viel Zeit miteinander verbracht. Es beruhigte Viktoria, dass der
Junge ganz entgegen Jinzis Warnungen keine unnatürliche
Fixierung auf sie selbst an den Tag legte, doch machte sie sich
Sorgen um die Zukunft dieser ersten Verliebtheit. Dewei hatte kein
flatterhaftes Wesen, es war durchaus möglich, dass die
jugendliche Leidenschaft von Dauer sein würde. Ian würde
seine Kinder heiraten lassen, wen immer sie wollten, aber Rosie
betrachtete diese Dinge weitaus nüchterner. Ihre bildhübsche
Tochter, die nun drei europäische Sprachen beherrschte, sollte
an keinen dahergelaufenen Jungen ohne Familie und gesellschaftlichen
Rang abgetreten werden! Viktoria gab sich die größte Mühe,
Deweis Erfolge auf glaubwürdige Weise hervorzuheben. Sie selbst
mochte Daisy, ein stilles, ernsthaftes Mädchen, mit dem es sich
durchaus unter einem Dach leben ließe. Eine ihrer größten
Sorgen war, dass Dewei ihr eine bildschöne, schwierige Nörglerin
wie Meigui vorsetzen würde, und dagegen wollte sie entschieden
ankämpfen.
         Als
sie die Stufen zu ihrem Zimmer hochstieg, wurde ihr bewusst, dass sie
bereits ihre Zukunft als altjüngferliches Anhängsel ihres
Adoptivsohnes zu planen begann. Auf einmal stimmte diese Vorstellung
sie seltsam schwermütig, als betrachte sie ihr eigenes Leben nun
mit Anettes Augen und sähe eine törichte Frau, die im
Begriff war, ihre Jugend sinnlos zu vergeuden. Verärgert über
diese plötzliche Stimmungsschwankung machte sie sich daran, ein
Kleid für den Abend auszuwählen. Ihre Garderobe war
weiterhin spärlich, sie hatte lange für ihr taubenblaues
Winterkleid mit Spitzenbesatz gespart, doch hätte ein Schrank
jener Ausmaße, die sie in ihrer Zeit als höhere Tochter
benötigt hatte, auch kaum in das kleine Zimmer gepasst. Sie zog
ein cremefarbenes Kleid aus feiner Wolle heraus, das mit einem zarten
Blütenmuster bestickt war. Eine der Förderinnen von Mrs.
Aberson, die Shanghai letztes Jahr besucht hatte, hatte es Viktoria
mit dem Hinweis überlassen, dass sie selbst nicht mehr wirklich
hineinpasste. Viktoria war lange versucht gewesen, das Almosen
abzulehnen, doch hatte der Anblick des zart fallenden Stoffes und des
makellos gefertigten, weißen Spitzenkragens sie zu sehr
bezaubert. Die Farbe ließ sie vielleicht ein wenig blass
wirken, doch minderte sie diesen Effekt durch das Paar leuchtend
roter Ohrgehänge, das Dewei ihr von seinem ersten Gehalt bei
Nathan gekauft hatte. Ein wenig ähnelten sie jenen, die in Shen
Akeus Haus liegen geblieben waren, überlegte Viktoria. Die
Erinnerung tat nicht mehr weh, was vielleicht an den Neuigkeiten lag,
die sie von Chuntian erfahren hatte. Viktoria puderte nachdenklich
ihr Gesicht, brachte ihr Haar dann mit einem schwarzen Samtreif in
Form und begab sich in den Speisesaal.
         Diesmal
waren einige Freunde von Ian McGregor eingeladen worden und Viktoria
hatte auf Rat des Hausherrn schottische Lieder eingeübt. Sie
lächelte den versammelten Seebären freundlich zu, bevor sie
vor dem immer noch verstimmten Piano Platz nahm. Die Männer
machten einen gutmütigen Eindruck, doch plante sie auf ihr
Zimmer zu flüchten, bevor zu viele Gläser Whiskey geflossen
waren. »Will ye go lassie go«, begann Viktoria an einem
Shanghaier Winterabend romantische Träume von schottischer
Naturschönheit heraufzubeschwören. Sie wusste, dass ihre
eigene Stimme die Kraft einer wirklich guten Sängerin vermissen
ließ und dass sie auch nicht immer den richtigen Ton traf, doch
genügte der lieblich weibliche Klang gemeinsam mit ihrer zarten
Erscheinung, um die Herzen der Herren für sie einzunehmen. Bei
dem dritten Musikstück grölten bereits alle Anwesenden mit,
und einige Augen mussten trocken gewischt werden. Ermutigt setzte
Viktoria nun zu ihrem Lieblingsstück an, einem alten Liebeslied:

    Ca'
the yowes to the knowes
Call them where the heather
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