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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Autoren: Tereza Vanek
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vernommen,
begleitet von chinesischem Geschrei. Etwas verunsichert hatte sie die
Tür geöffnet. Ein halbwüchsiges Mädchen mit
zerzaustem Haar und blauen Flecken im Gesicht war ihr laut keuchend
in die Arme gefallen, während sich draußen eine alte Frau
und drei Männer mit wütendem Gebrüll davonmachten.
         Inzwischen
kamen ungefähr drei flüchtige Prostituierte im Monat. Sie
wurden zusammen in einem großen Zimmer untergebracht, sollten
im Waisenhaus aushelfen, lernten Lesen, Schreiben und
Haushaltsführung. Viktorias Vorschlag, ihnen etwas mehr Bildung
angedeihen zu lassen, hatte Mrs. Aberson nicht überzeugt.
Einfache Leute brauchten dies nicht, es würde nur unangemessene
Sehnsüchte in ihnen wecken, meinte die Reformerin.
         Mrs.
Aberson besorgte Ehemänner für die reumütigen
gefallenen Mädchen, indem sie ihnen eine bescheidene Mitgift
zukommen ließ. Einige in Shanghai gestrandete Seeleute und
viele chinesische Arbeiter gingen gern solche Verbindungen ein.
Viktoria erschien dies keine besonders vielversprechende Zukunft für
die flüchtigen Frauen, doch die meisten von ihnen nahmen die
Möglichkeit einer respektablen Existenz als Ehefrau bereitwillig
an. Die Narben und Verletzungen an ihren Körpern, die sie aus
ihrem früheren Leben mitgebracht hatten, sprachen für sich.
         Der
Umgang mit diesen jungen Frauen hatte Viktoria geholfen, das eigene
Schicksal ohne Bitterkeit anzunehmen. Wenn sie im Leben zurechtkamen,
dann musste es ihr selbst auch irgendwie gelingen.

    ******

         Das
Treffen mit Mrs. Aberson verlief zufriedenstellend, denn es waren
neue Fördergelder aus den Staaten eingetroffen. Die alte Dame
musterte Viktorias neues, hellblaues Winterkleid und die baumelnden
Ohrringe zwar leicht missbilligend, doch gab es nicht viele westliche
Frauen in Shanghai, die gut Chinesisch sprachen, sodass die
Reformerin nicht wählerisch sein konnte. Der Tee schmeckte
leider schrecklich fad. Viktoria war erleichtert, bald schon
entlassen zu werden. Sie spielte immer noch jeden Abend im Hotel der
McGregors und wollte sich in Ruhe umziehen können.
         Enge
Gassen verbanden die Nanking Road mit der Foochow Road. Viktoria
schlängelte sich an Verkaufsständen vorbei, bewunderte ein
wunderschön besticktes Paar chinesischer Damenschuhe, in die
ihre groß gewachsenen Füße niemals passen würden,
und sah eine Weile Seiltänzern zu. Kaum hatte sie sich zur Eile
ermahnt, da es langsam zu dämmern begann, vernahm sie eine
Frauenstimme in ihrem Rücken.
         »Vi
Ki!«
         Der
zarte, leicht heisere Klang war seltsam vertraut, doch konnte
Viktoria sie keiner Person zuordnen. Sie drehte sich um und starrte
ungläubig.
         Das
unscheinbare Gesicht mit den schmalen, geraden Augen, die tief unter
den Lidern lagen. Der erstaunlich intelligente, leicht verwirrte
Blick einer altjüngferlichen Gelehrten. Mitten im Getümmel
stand Chuntian, nun wie eine einfache Chinesin in dunkelblaue Hosen
gekleidet, und tat, was vornehme Damen in keinem Land der Welt tun
sollten. Sie winkte mit den Händen und schrie, um das
Stimmengewirr um sie herum zu übertönen. Ein paar Blätter
Papier entglitten ihren Fingern, segelten auf den schmutzigen
Erdboden zu. Viktoria lief los, schubste Leute zur Seite, um beim
Aufsammeln zu helfen. Kurz stießen ihre Köpfe zusammen.
         »Ich
schreibe jetzt Gedichte«, erklärte Chuntian unaufgefordert
das verlorene Papier. »Mein Bruder ermutigt mich, sie zu
veröffentlichen.«
         Viktoria
überreichte der Chinesin die verlorenen Schätze. Ihr
Herzschlag raste vor Freude, doch gleichzeitig fühlte sie sich
seltsam befangen. Sie meinte, schon lange mit der Vergangenheit
abgeschlossen zu haben.
         «Wie
kommst du nach Shanghai?«, fragte sie. Chuntian zog sie am
Ärmel zu einer freien Stelle zwischen zwei Verkaufsständen,
wo es einigermaßen ruhig war.
         »Ich
lebe seit über zwei Jahren hier«, erzählte sie mit
einem fröhlichen Kichern. »Ich musste zunächst ein
halbes Jahr in einem Landhaus meines Gemahls zubringen, dann durfte
ich nach Beijing zurück. Danach versuchte ich erstmal, schwanger
zu werden, denn ich hatte begriffen, dass es nicht anders ging. Aber
es gelang mir nicht. Stattdessen schaffte es Meigui, einen Sohn zu
gebären. Sie war so glücklich, dass sie richtig nett wurde,
kannst du dir das vorstellen? Für mich gab es keine Verwendung
mehr. Mein Gemahl wollte mich zu meiner Familie zurückschicken,
aber
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