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Das Geheimnis der Hebamme

Titel: Das Geheimnis der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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gezogen war und den Bauersfrauen wortreich seine Waren angepriesen hatte: Liebestränke, unfehlbare Mittel gegen Herzenskummer, Frauenleiden und Unfruchtbarkeit. Wahrscheinlich hatte er auf der Burg bessere Geschäfte gemacht. Sie hegte starke Zweifel an der Wirksamkeit von Maulwurfspfoten und getrockneten Käfern, aber das sagte sie nicht. Irmhild brauchte jetzt alle Kraft, die sie aufbringen konnte.
    »Ihr seid noch jung und werdet starke Söhne bekommen«, versuchte Marthe die verängstigte Frau zu trösten, während sie ihr mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlte. »Ihr müsst nur Eurem Herrn zu verstehen geben, dass er Euch mehr schonen muss, wenn Ihr guter Hoffnung seid.«
    Irmhild senkte den Blick und blieb stumm.
     
    Nachdem ein halber Tag verstrichen war, stieß die Burgherrin einen handgroßen Fötus aus, der offensichtlich schon einige Zeit tot war. Es war ein Junge. Irmhild sank kraftlos zurück und begann am ganzen Leib zu zittern.
    Mitleid durchflutete Marthe, aber noch mehr Angst. Wulfhart würde ihr die Schuld geben und seine Drohung wahr machen.
    Von der zu Tode verängstigten Irmhild war kein Beistand zu erwarten. Wenn Wulfhart kam, um einen Schuldigen zu suchen, würde nichts und niemand Marthe vor ihm schützen.
    Die Vorstellung, wie Oswalds Axt niederfuhr und ihr Hände und Füße abschlug, wurde auf einmal übermächtig.
    Herr, vergib mir, flehte Marthe stumm, während sie das Totgeborene wusch und in ein Leinentuch wickelte. Ich muss hier weg – so schnell wie möglich.
    Doch zuerst musste sie etwas Zeit gewinnen. Noch konnte sie Irmhild nicht im Stich lassen.
    »Es ist noch nicht vorbei. Die Herrin braucht eure Gebete. Jetzt sofort«, herrschte sie die wehklagenden Frauen an, die zu ihrer Überraschung und Erleichterung niederknieten und zu beten begannen.
    Gebete können nicht schaden, dachte Marthe. Vor allem aber halten sie vorerst die Frauen davon ab, die schlechte Nachricht von dem tot geborenen Erben aus dem Raum zu tragen.
    »Ich werde den Kaplan holen«, sagte sie, nachdem sie Irmhild von der Nachgeburt entbunden und versorgt hatte.
    Noch ehe jemand etwas sagen konnte, war sie bereits zur Tür hinausgehuscht. Sie lief die Stufen hinunter, überquerte den Burghof und fand schließlich den hageren Geistlichen, der ihr besorgt entgegensah. »Die Herrin bittet Euch, zu ihr zu kommen. Sie braucht Eure Hilfe«, sagte sie.
    Der Kaplan eilte sofort los.
    Seine Gegenwart wird Irmhild vor Schlägen bewahren, hoffte Marthe. Dem Vernehmen nach war der Kaplan der Einzige, der es gelegentlich wagte, dem jähzornigen Wulfhart Einhalt zu gebieten.
    Sie lief über den Burghof zum Tor, so schnell sie konnte, ohne aufzufallen. Der Pfahl war inzwischen leer. Wahrscheinlich steckte der Geschundene jetzt im Verlies. Oder war er tot?
    »Was ist los, wohin so eilig?«, fragte der Wachsoldat, der missmutig am Tor lümmelte. Aus dem Wachhaus drangen klappernde Geräusche und das laute Gejohle seiner Kameraden beim Würfelspiel.
    Marthe blickte kurz hoch zu der schmalen Fensterluke, hinter der Irmhilds Kammer lag. Jeden Moment konnte von dort jemand brüllen: »Haltet die Hexe fest und werft sie ins Verlies!«
    Mit so viel Munterkeit in der Stimme, wie sie aufbringen konnte, wies Marthe ihren Korb vor. »Ich gehe ein paar Kräuter pflücken, um der Herrin die Geburt zu erleichtern. Frisch wirken sie am besten.«
    Mit hämmerndem Herzen wartete sie auf die Reaktion des Wachpostens. Würde er sie passieren lassen? Nur ein paar Schritte noch, und sie wäre vorerst in Sicherheit. Oder sie würde Wulfharts blutiger Rache ausgeliefert sein und sterben. Doch der Soldat wedelte nur mit der Hand. »Dann beeil dich! Unser Herr erwartet seinen Sohn schon ungeduldig.«
    Marthe huschte aus dem Tor und ging schnell, aber ohne zu rennen, auf den Wald zu, der zweihundert Schritte vor der Burg begann.
    Mit jedem Augenblick wuchs ihre Angst. Bitte lass sie noch nichts merken, flüsterte sie vor sich hin, während ihre Bewegungen immer steifer wurden. Sie atmete stockend, in der Erwartung, einen todbringenden Pfeil sirren zu hören, der sich zwischen ihre Schulterblätter bohrte.
    Als sie endlich außer Sichtweite der Torwache war, rannte sie im Schutz der Bäume Richtung Dorf und versteckte sich in einem Gebüsch am Weg.

Die Flucht
     
    Der Regen hatte aufgehört, doch nun blies ein eisiger Wind. Es dauerte nicht lange, bis sich Marthes Befürchtung bestätigte. Oswald und Ludolf kamen aus der Burg geprescht, hielten erst
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