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Das Geheimnis der Hebamme

Titel: Das Geheimnis der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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köstlichen Moment lang stellte er sich vor, wie sie wimmernd vor ihm auf dem Boden lag und um Gnade bettelte.
    Er packte Marthe grob am Arm, zerrte sie aus der winzigen Hütte am Waldrand und brüllte: »Du kommst jetzt mit, du kleine Hexe, oder du kriegst die Peitsche zu spüren! Wenn die Alte nicht kann, musst du eben dem Erben des Burgherrn auf die Welt helfen.«
     
    Oswald, dessen linke Gesichtshälfte von einer schlecht verheilten Narbe entstellt war, saß auf, zerrte das Mädchen unsanft vor sich aufs Pferd und ritt scharf an.
    »Mutter Fine!«, schrie Marthe Hilfe suchend und wollte sich noch einmal umdrehen. Doch Oswald hielt sie fest umklammert und trieb sein Pferd Richtung Burg.
    Sie ritten rasch durch den kalten, regnerischen Märzmorgen. Ludolf, stämmig und mit strähnigem hellen Haar, hatte noch Marthes Korb mit Salben und Tinkturen geholt und folgte nun dicht hinter ihnen.
    Marthe fror. Ihr Körper schmerzte von den Kanten des hölzernen Sattels und vom groben Griff des dunkelhaarigen Reiters, der nach Bier, Zwiebeln und Schweiß roch.
    Bald ließ Oswald seine rechte Hand über ihren filzigen Umhang wandern. Das Mädchen erstarrte vor Schreck. In ihrer Angst zog sie das Pferd so heftig an der Mähne, dass es scheute und Oswald beide Hände brauchte, um es wieder unter Kontrolle zu bringen.
    Hastig drehte sie sich zu ihm um. »Können wir nicht wenigstens im Dorf Bescheid sagen, damit Pater Johannes zu meiner Mutter geht? Ihr wollt doch nicht, dass sie ohne Absolution stirbt und im Höllenfeuer brennen muss?«
    Ludolf schloss zu ihnen auf. »Was will die Kleine? Zärtlicher umfasst werden?«, rief er anzüglich grinsend herüber. Die Bewegung des anderen war ihm nicht entgangen.
    »Nein, ’nen Priester für die alte Hexe. Als wenn die nicht sowieso schnurstracks in die Hölle fährt.« Oswald lachte boshaft.
    Schlagartig wurde das Gesicht seines jüngeren Begleiters ernst.
    »Damit ist nicht zu spaßen. Mit dem Höllenfeuer nicht und auch nicht mit der Alten. Am Ende legt sie noch einen Fluch über dich.«
    »Sie ist keine Hexe. Sie ist eine weise Frau, die nie jemandem etwas Böses tun würde. Bitte, lasst sie nicht allein sterben«, bat Marthe.
    »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, brummte Oswald und rieb mit dem Handrücken über die gezackte Narbe in seinem Gesicht. »Aber meinetwegen. Im Dorf soll jemand den Priester losschicken.«
    Erleichtert atmete Marthe auf. Pater Johannes würde Serafine beistehen. Und Oswald hatte aufgehört, nach ihrer Brust zu tasten. Seine Rechte hielt sie nun wieder mit hartem Griff umklammert.
     
    Ein paar Hühner stoben laut gackernd beiseite, als die zwei Reiter durch das Dorf unterhalb der Burg preschten. Während sie an einem alten Mann vorbeiritten, der versuchte, ein mageres Schwein vom Weg zu treiben, brüllte Ludolf: »Du da! Lauf zum Priester und schick ihn zu der alten Wehmutter. Die liegt im Sterben.«
    Der Alte blickte ängstlich auf. Aber als Marthe ihm nachschaute, sah sie erleichtert, dass er in Richtung der hölzernen Kirche humpelte.
    In scharfem Galopp ritten die Männer durch das Burgtor und grüßten mit lässiger Handbewegung die Wache.
    Oswald stieß Marthe vom Pferd und saß ab. Er warf die Zügel einem Stallburschen zu und schickte Ludolf auf die Suche nach dem Verwalter.
    Mit einem Blick erfasste das Mädchen das übliche Durcheinander auf dem schlammigen Burghof. Schweine suhlten sich in einer Lache, gleich neben den Ställen lag ein riesiger Misthaufen, aus der Küche drang lautes Geschrei, neben dem verwitterten Brunnen lagen herausgebrochene Steine.
    Am Schandpfahl hing ein Mann bewusstlos in Stricken. Sein Rücken war von Peitschenhieben zerfetzt und blutverkrustet. Marthe wusste, wer der Unglückliche war. Im Dorf hatte sich am Vortag in Windeseile herumgesprochen, dass der Burgherr einen der armen Bauern für ein Strafgericht auf die Burg schaffen ließ. Oswalds Werk, erkannte sie beklommen angesichts des blutig geschlagenen Rückens. Jeder im Ort wusste, dass der Narbengesichtige ein krankes Vergnügen dabei empfand, die Peitsche zu schwingen. Seine Grausamkeit wurde nur von der des Burgherrn übertroffen.
    Als ob die Bauern ihre Schulden schneller zahlen könnten, wenn er sie zu Tode prügelt, dachte sie bitter.
    Sie unterdrückte den Impuls, zu dem Unglücklichen zu laufen und ihm zu helfen. So etwas wurde auf der Burg nicht geduldet. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, würde sie versuchen, ihm wenigstens etwas Wasser zu
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