Das Geheimnis der Götter
würde Euch aber wirklich gern helfen!«
»Sei unbesorgt, unsere ärztliche Versorgung hier in Abydos ist ausgezeichnet.«
»Soll ich jemand holen?«
»Nein, wenn nötig, erledige ich das selbst.«
Bina machte ein verlegenes Gesicht.
»Ist die Arbeit, die Ihr hier macht, nicht sehr gefährlich?«
»Wie kommst du darauf?«
»Sendet das Grab von Osiris nicht bedrohliche Kräfte aus?«
Die Miene des Priesters verfinsterte sich. »Versuchst du etwa, die Geheimnisse zu verletzen, junge Frau?«
»Nein, nein! Ich bin nur sehr beeindruckt und ein wenig erschrocken, weil… So viele Geschichten werden über Osiris und sein Grab erzählt! Manche reden von Furcht erregenden Gespenstern. Stimmt es, dass sie ihre Feinde angreifen, um dann ihr Blut zu trinken?«
Der Ritualist schwieg. Weshalb auch hätte er etwas gegen diesen Aberglauben sagen sollen, der zum Schutz von Osiris’
Ruhestätte beitrug?
»Ich stehe zu Eurer Verfügung«, wiederholte Bina noch einmal und schenkte dem mürrischen Mann ihr schönstes Lächeln.
Diese Mühe hätte sie sich sparen können – er hatte sie gar nicht angesehen.
»Geh wieder in die Bäckerei und in die Brauerei, mein Kind, und kümmere dich nicht um mich.«
Die Befragung der Priesterinnen der Hathor brachte nichts zu Tage, was Ikers Misstrauen erweckt hätte. Isis war nach dem Tod der Ältesten Oberpriesterin geworden und unterstützte ihn bei seiner Aufgabe.
Ihren Schwestern konnte keine Verfehlung vorgeworfen werden und auch kein Versagen bei der Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben.
Bei den ausführlichen Gesprächen, die Iker mit jeder einzelnen Priesterin führte, kamen ihm keinerlei Zweifel. Seine Gegenüber verhielten sich vollkommen ungezwungen und hatten offensichtlich nichts zu verbergen.
Deshalb gelangte er zu der Überzeugung, dass sich der Handlanger des Propheten nicht in den Reihen der Priesterinnen befinden konnte. Der Königliche Sohn setzte seine Betreuung der Handwerker fort, befragte aber nun ausführlich die ständigen Priester, die ihren Unmut darüber nicht vor ihm verbargen.
Derjenige, dessen Tun geheim ist und der die Geheimnisse sieht, verhielt sich entsprechend seines Amtes. Er hörte sich zwar die Fragen des Königlichen Sohns an, verweigerte aber die Antworten, weil er nur dem Kahlen Rede und Antwort stehen durfte. Seinem Vorgesetzten überließ er die Entscheidung, was dieser Iker über ihn und sein Amt mitteilen wollte.
Der Kahle ließ sich nicht lange bitten und wiederholte Wort für Wort die Erklärung seines Untergebenen: Zusammenfassend ließ sich sagen, dass nur diejenigen, die in Osiris’ Mysterien eingeweiht waren, Zugang zu den Geheimnissen hatten. Da Iker nicht zu ihnen gehörte, mussten die Ritualisten Stillschweigen bewahren.
»Macht ihn diese Weigerung zur Zusammenarbeit nicht verdächtig?«, fragte der junge Mann.
»Im Gegenteil«, meinte der Kahle. »Dieser alte Weggefährte hält sich streng an seine Vorschriften, unabhängig von den jeweiligen Umständen. Für ihn zählt einzig und allein der Schutz des Geheimnisses. Also wurde bisher keiner seiner wesentlichen Bestandteile verraten. Im gegenteiligen Fall oder wenn er es an den Propheten verkauft hätte, wäre der Baum des Lebens eingegangen und Abydos vom Erdboden
verschwunden.«
Diese Beweisführung überzeugte Iker.
Der Diener des ka, der den Auftrag hatte, die spirituelle Lebenskraft zu bewahren und zu verehren, lud Iker zur gemeinsamen Ahnenfeier ein.
»Ohne die tatkräftige Anwesenheit unserer Ahnen würde die Verbindung mit dem Unsichtbaren immer schwächer«, erklärte er Iker. »Und ist sie erst einmal unterbrochen, sind wir nur noch lebende Tote.«
Gemeinsam verehrten der Greis und Iker die Statuen des ka von Sesostris, in denen die Macht der Sterne versammelt war. Bedächtig und mit ernster Stimme sprach der Ritualist die Sprüche zur Belebung der Seelen von Königen und Gerechten. Die Bestimmtheit, mit der er seine magischen Fähigkeiten Tag für Tag einsetzte, machte sein Tun immer wieder fruchtbar.
»Wie meine Brüder und Schwestern bin auch ich nur ein Teil vom vielfältigen Wesen des Pharaos. Allein wäre ich nicht lebensfähig. Aber in Verbindung mit seinem Geist und den anderen ständigen Priestern trage ich zum Glanz von Osiris bei, der die vielfältigen Formen des Todes hinter sich lässt.«
Dieser Mann kann kein Gehilfe des Propheten sein, dachte sich Iker.
Iker ging zu dem, der über die Unversehrtheit des Großen Leichnams von Osiris
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