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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen
Autoren: Marcia Muller
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einem alten
Schwarm getroffen hatte, und einen solchen Aufruhr veranstaltete, dass die
Polizei gerufen wurde. Doch bei all dem liebten sie sich, liebten sie ihre
Kinder.
    Was also war jetzt passiert,
dass ein solcher Ausdruck von Schmerz und Traurigkeit über Rickys Gesicht
huschte? Was konnte so schlimm sein, dass meine Schwester es mir nicht
anvertraut hatte? Ich griff zum Telefon. Hielt inne und schüttelte den Kopf.
    Nicht dein Bier, McCone — noch
nicht. Lass ihn erzählen, auf seine Art und wenn er so weit ist. Und dann biete
ihnen beiden Trost und Unterstützung an.
    Ich legte eine Fallakte an,
heftete den Vertrag, den wir gerade geschlossen hatten, ein und steckte den
Ordner in meine Laufende-Ermittlungen-Schublade. Dann fischte ich ein
Auftragsformular meines Stammlabors heraus. Nachdem ich angekreuzt hatte, dass
ich die Briefe auf Fingerabdrücke, Papier- und Tintensorte untersucht und einer
graphologischen Analyse unterzogen haben wollte, steckte ich alles in einen
Umschlag, schnappte mir meine Umhängetasche und ging über den Steg zu Ted
Smalley.
    Unsere Büroräume zogen sich
eine Seite des Piergebäudes entlang. Davor verlief ein breiter, mit einem Geländer
gesicherter Steg, mit einer Eisentreppe an jedem Ende und mehreren
Verbindungsstegen zu den gegenüberliegenden Büros. Drunten im Innenhof, wo
früher Gabelstapler Frachtgut bewegt hatten, parkten unsere Autos. Die Mieter
gegenüber waren ein Architekturbüro, für das ich schon einige Nachforschungen
angestellt hatte, und ein Graphik-Designer. In den unteren Etagen residierte
ein ähnlich bunt gemischtes Völkchen, das ich erst nach und nach kennen lernte.
Es war très chic, sein Büro in einem ausgebauten Piergebäude zu haben,
und die Mieter waren alle sehr stolz auf ihre Räumlichkeiten: die Türen der
verschiedenen Firmen waren in Farbe und Stil individuell gestaltet, die
Schilder künstlerisch bis gediegen-diskret. Pflanzen in Kübeln und
Redwood-Bottichen flankierten die Treppenaufgänge und mühten sich, im
Schummerlicht des höhlenartigen Innenhofs zu überleben.
    Ich liebte das Piergebäude; ich
liebte den südöstlichen Embarcadero und den lebendigen South Beach-Distrikt.
Ich hoffte, dass wir hier lange bleiben würden.
    Ich passierte den großzügigen
Raum neben meinem Büro, Arbeitsplatz von Mick und Rae Kelleher, meiner
Exassistentin, die jetzt den Grundstock meines hoffentlich irgendwann
beträchtlichen Ermittlerstabs bildete. Daneben war ein etwas kleinerer Raum,
der momentan als Abstellraum diente. Der angrenzende Konferenzraum, den wir uns
mit Altman&Zahn teilten, enthielt lediglich den alten runden
Eichenholztisch, der einst am Küchenfenster der Kooperative gestanden hatte,
und die zugehörigen Stühle. Zwischen dem Konferenzraum und den Kanzleiräumen
befand sich das Reich von Ted Smalley, unserem gemeinsamen Büroleiter, den wir
nach Hanks Ausscheiden All Souls ohne größere Probleme hatten abspenstig machen
können.
    Ted, ein dunkelhaariger Typ mit
fein geschnittenem Gesicht, durchdringendem Blick und einem adretten
Ziegenbärtchen, herrschte über unser neues Reich wie ein Feudalherr über sein
Lehen — mit eiserner Hand und dringend benötigter Autorität lenkte er seine
Untertanen, die töricht genug waren, sich für seine Chefs zu halten. Seine
Vorliebe für ausgeflippte Rüschenhemden und opulente altmodische Westen — die
in einem gewissen Kontrast zu den damit kombinierten Levis standen — stützte
dieses Bild noch. Ich warf den Umschlag in seinen Postausgangskorb und sagte: »Könntest
du das hier bitte ins Richman-Labor bringen lassen?«
    »Klar.« Er sah von den Papieren
auf seinem Schreibtisch auf und lächelte mich durchtrieben an. Erhob sich und
streckte mir feierlich eine kleine goldene Packung hin, die, wie ich aus
Erfahrung wusste, einen einzelnen Schokotrüffel von Sweet Sins enthielt. »Für
dich«, sagte er.
    Gierig streckte ich die Hand
aus. »Aus welchem Anlass?«
    Er zog die Hand ein Stück
zurück. »Was ist das heute Abend für eine Überraschung?«
    »Bestechung? Schämst du dich
nicht! Wo ist deine Integrität geblieben?«
    »Bin von Anwälten korrumpiert
worden.« Er deutete in Richtung Altman & Zahn.
    »Ach, die können nicht bis
sechs Uhr warten?«
    »Du weißt doch, wie Anwälte
sind. Sie hassen Geheimnisse. Sie sind neugierig und verschlagen. Ungefähr so
wie Privatermittler.« Ein Glück, dass sich meine Leidenschaft für Pralinen in
den letzten Jahren etwas gelegt hatte! Es hatte Zeiten
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