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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium
Autoren: Viktor Pelewin
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Möbelclip gezeigt wurde; wahrscheinlich erkannte sie in den Anzugträgern ihre »zwei Herren in Grau« von damals wieder und nahm ihnen übel, dass sie sie so einfach vergessen und die Karriereleiter erklommen hatten.)
    Über die Geschichte meiner Familie wusste ich nichts. Aber ein paar Gegenstände in meiner Umgebung hatten eine unergründlich düstere Aura.
    Da war zum einen dieser altmodische Kupferstich. Zu sehen war eine Löwenfrau mit lasziv zurückgeworfenem Kopf, entblößter Brust und mächtigen Krallentatzen. Die Graphik hing im Flur unter einer elektrischen Kerze, die wie ein Heiligenlämpchen aufgemacht war. Sie gab nur funzliges Licht, wodurch das Bild an Magie und Unheimlichkeit gewann.
    Meine Vermutung war, dass ein Geschöpf wie das dargestellte die Menschen hinter der Grabesschwelle in Empfang nimmt. (Den seltsamen Ausdruck »Grabes Schwelle« nahm meine Mutter häufig in den Mund, er war mir darum geläufig, bevor ich ihn recht begriffen hatte. Dass man einfach zu existieren aufhören konnte, war eine zu schwierige Abstraktion, als dass ich es mir hätte vorstellen können. Für mich war der Tod eher etwas wie ein Umzug; dorthin führte ein schmaler Pfad an den Tatzen der Sphinx vorbei.)
    Eine andere Botschaft aus der Vergangenheit war das Silberbesteck mit eingraviertem Wappen: Pfeil und Bogen und drei fliegende Kraniche. Ich stieß darauf in der Anrichte, die Mama für gewöhnlich verschlossen hielt.
    Nach hinreichender Missbilligung meiner Neugierde gab Mutter bekannt, es handele sich um das Wappen derer von Storkwinkel, eines baltischen Geschlechts, dem mein Vater entstammte. Dagegen klang mein Name schon nicht mehr sehr aristokratisch: Storkin. Eine übliche Form sozialer Mimikry in Zeiten des Kriegskommunismus, lautete die bündige Erklärung der Mutter.
    Mein Vater hatte der Familie kurz nach meiner Geburt den Rücken gekehrt; Näheres über ihn war nicht zu erfahren, so sehr ich auch bohrte. Sobald ich das Thema ansprach, sah ich meine Mutter erblassen, eine Zigarette anzünden, und dann sagte sie jedes Mal dasselbe - zuerst leise, sich allmählich hineinsteigernd, am Ende schrie sie. »Raus. Hörst du nicht? Soll ich dir Beine machen? Raus hier, du Kanaille! Saukerl, verschwinde!«
    Ich meinte zuerst immer, es müsse ein dunkles, romantisches Geheimnis hinter alledem stecken. Aber dann, beim Eintritt in die achte Klasse, hatte meine Mutter ein Wohnraummeldeformular auszufüllen, und ich erfuhr über meinen Vater etwas mehr.
    Er arbeitete als Journalist bei einer großen Zeitung; ich fand sogar eine Kolumne von ihm im Internet. Von dem kleinen Photo über der Spalte blickte freundlich ein kahlköpfiger Herr mit Nickelbrille; was den Text selbst anging, so stellte er die Behauptung auf, Russland werde nicht zu einem normalen Land, solange Volk und Regierung es nicht lernten, das Eigentum anderer zu respektieren.
    Der Gedanke ging in Ordnung, aber er begeisterte mich nicht sonderlich. Vielleicht lag es daran, dass mein Vater gern Ausdrücke wie Plebs und kompetente Eliten gebrauchte, die ich damals nicht verstand. Das Lächeln in meines Erzeugers Gesicht weckte in mir ein eifersüchtiges Missbehagen: Es galt nicht mir, das sah man, sondern den kompetenten Eliten, deren Eigentum zu respektieren ich gefälligst zu lernen hatte.
    Dann kam ich aus der Schule und musste mir überlegen, was ich werden wollte. Hochglanzjournale und Werbeanzeigen vermittelten klare Orientierungen, was im Leben anzustreben war, nur die Wege und Mittel zum Erfolg erwiesen sich als hoch konspirativ.
    »Wenn die Menge Flüssigkeit, die ein Rohr pro Zeiteinheit durchläuft, gleichbleibt oder linear ansteigt«, so hatte der Physiklehrer uns im Unterricht eingebläut, »folgt daraus logisch, dass für neue Leute so bald kein Platz am Rohr sein wird.«
    Das Theorem klang einleuchtend, und ich beschloss mich von dem Rohr möglichst fernzuhalten, anstatt wie alle darüber herzufallen. Also entschied ich mich dafür, ans Institut der Länder Asiens und Afrikas zu gehen und irgendeine exotische Sprache zu studieren, um mir anschließend in den Tropen Arbeit zu suchen.
    Um am Institut angenommen zu werden, brauchte es Nachhilfeunterricht bei den dort angestellten Lehrern; dadurch wurde man nicht unbedingt schlauer, erhöhte aber garantiert seine Chancen. Die Lektionen waren teuer, und Mutter lehnte es rundweg ab, sie mir zu bezahlen. Da ich wusste, dass es nicht an ihrem Geiz lag, sondern am schmalen Familienbudget, murrte ich
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