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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium
Autoren: Viktor Pelewin
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Roma«, sagte er, »das Schicksal hat uns alle in der Hand. Du bist aus freien Stücken hergekommen. Und meine Zeit ist bemessen.«
    »Wollen Sie mich belehren?«
    »Nicht ich. Nicht die Person des Vampirs tritt als Lehrender in Erscheinung, sondern seine Natur. Und die Unterweisung besteht darin, dass der Vampir seinen Schüler beißt. Was aber nicht heißt, dass jeder dahergelaufene, von einem Vampir gebissene Mensch selbst zum Vampir wird. Das passiert nur in schlechten Filmen - wie man in schlechten Filmen zu sagen pflegt, ha, ha ...«
    Er lachte über seinen Witz. Ich versuchte zu lächeln, es gelang mir schlecht.
    »Es gibt dafür einen speziellen Biss«, führte er weiter aus, »zu dem sich ein Vampir nur einmal im Leben in der Lage sieht. Und nur wenn seine Zunge mitspielt. Traditionell geschieht das am Tag der Sommersonnenwende. Du trittst vor mich hin, und meine Zunge geht in dich über.«
    »Geht über - wie geht das?«
    »Im Wortsinne. Ganz körperlich. Ich möchte dich warnen: Es ist schmerzhaft. Währenddessen und auch hinterher. Du wirst dich nicht gut fühlen. Wie nach einem giftigen Schlangenbiss. Aber das gibt sich mit der Zeit.«
    »Könnten Sie sich nicht einen anderen Schüler suchen?«
    Auf diese Zwischenfrage ging er nicht ein.
    »Du könntest vorübergehend das Bewusstsein verlieren. Dein Körper versteift. Möglicherweise stellen sich Halluzinationen ein. Das muss aber nicht sein. Nur eines geschieht unweigerlich.«
    »Nämlich?«
    »Du blickst zurück auf dein ganzes Leben. Die Zunge bemächtigt sich deiner Vergangenheit - sie muss alles über dich wissen. Wenn ein Mensch ertrinkt, geht es ihm angeblich so ähnlich. Aber du bist noch jung, wirst also nicht lange ertrinken müssen.«
    »Und was machen Sie in der Zwischenzeit?«
    Brahma gab ein seltsames Räuspern von sich.
    »Keine Bange. Ich habe einen ausgeklügelten Plan.«
    Bei diesen Worten schritt er bereits auf mich zu, packte mich bei den Haaren und drückte meinen Kopf gegen seine Schulter. Ich erwartete den Biss, doch stattdessen biss er sich selbst - in den Finger. Gleich war die ganze Hand voller Blut.
    »Nicht bewegen!«, sagte er. »Dann hast du es leichter.«
    Der Anblick des Blutes schüchterte mich ein, und ich gehorchte. Er hob seinen blutigen Zeigefinger an meine Stirn, malte etwas darauf. Und verbiss sich im nächsten Moment ohne Vorwarnung in meinen Hals.
    Ich schrie auf, oder besser: ich jaulte, denn er hielt meinen Kopf so gepackt, dass ich den Mund nicht aufbekam. Der Schmerz am Hals war unerträglich - als hätte ein meschuggener Zahnarzt mir seinen elektrischen Bohrer neben den Kiefer gerammt. Einen Moment lang meinte ich, es wäre mein Ende, und begann mich schon damit abzufinden. Aber dann war plötzlich alles vorbei - er ließ mich los und sprang zur Seite. Ich spürte das Blut an Wange und Hals; auch seine Maske und der Lappen vor dem Mund waren damit beschmiert.
    Da begriff ich, dass es nicht mein Blut war, sondern seines. Es kam ihm aus dem Mund geflossen, rann über Hals und Brust auf den roten Mantel, von wo es zäh zu Boden tropfte. Etwas war mit ihm passiert - man konnte meinen, nicht ich wäre der Gebissene, sondern er. Taumelnd kehrte er zu seinem roten Sofa zurück, setzte sich, und seine Füße begannen heftig vor und zurück über das Parkett zu schurren.
    Ich musste an Tarkowskis Andrej Rubljow denken, die Hinrichtungsszene, wo sie einem Mönch flüssiges Metall in den Rachen flößen. Vor der Exekution hatte der Mönch seine Peiniger die ganze Zeit wüst beschimpft, doch als sie ihm das Metall in die Gurgel kippten, trat augenblicklich Stille ein, nur der Körper zuckte. Und dieses Schweigen war am schrecklichsten gewesen. Genauso schrecklich kam es mir vor, dass mein Gegenüber keinen Ton mehr von sich gab.
    Während das Zappeln der Füße nicht aufhörte, fuhr er mit der Hand in die Tasche seines Kittels und holte eine kleine vernickelte Pistole hervor, mit der er sich blitzschnell in den Kopf schoss - das heißt, in die Seite der zylinderförmigen Maske, die sein Gesicht verbarg. Der Kopf kippte von einer Seite auf die andere, die Hand mit der Pistole sackte auf das Sofa, dann rührte er sich nicht mehr.
    Und da auf einmal spürte ich im Hals, knapp unterm Kiefer, eine Regung. Keinen Schmerz (es war, als hätte man mir ein Betäubungsmittel gespritzt), doch ein schreckliches Gefühl. Ich war dabei, das Bewusstsein zu verlieren; was um mich war, rückte immer ferner. Unaufhaltsam sank ich in den
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