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Das Flüstern der Albträume

Das Flüstern der Albträume

Titel: Das Flüstern der Albträume
Autoren: Mary Burton
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durchquerte.
    Bitte, irgendjemand soll mich retten, bitte.
    Die Dielen knarrten unter den sachten, zögerlichen Schritten des Neuankömmlings, der sich oben ungehindert bewegte. Sekunden vergingen, und die Schritte wurden selbstsicherer, so als rechne der Besucher nicht damit, Gesellschaft zu bekommen.
    Sei vorsichtig! Er wartet auf dich!
    Sie schrie, bis ihre Kehle brannte, doch das Klebeband erstickte die Worte und verstümmelte ihre Warnungen.
    Der Einbrecher bewegte sich durch das Erdgeschoss. Ihr Kerkermeister verharrte ganz ruhig, lauernd wie eine Schlange, die auf die Gelegenheit zum Angriff wartet.
    Und dann ein lauter Ausruf: »Scheiße!«
    Ein Handgemenge folgte. Körper prallten gegen Wände. Glas klirrte. Gedämpftes Stöhnen erklang, und etwas Großes fiel zu Boden, wie ein Mensch, der unter dem eigenen Gewicht zusammensackt. Und dann Stille.
    Das Herz der Frau schlug so heftig gegen ihre Rippen, dass sie fürchtete, es könnte ihren Brustkorb sprengen. Panisch starrte sie zur Tür und hoffte auf ein Wunder. Wer hatte den Kampf gewonnen? Sie zerrte an ihren Fesseln, versuchte, das Seil zu zerreißen, das in ihre Haut schnitt.
    Oh Gott, rette mich!
    Ihre Fantasie schlug Purzelbäume, und sie malte sich aus, wie die Polizei den Keller stürmen und ihre Fesseln durchschneiden würde; wie man ihr in beruhigendem Tonfall mitteilen würde, dass sie nun in Sicherheit sei. Man würde sie fragen, was geschehen war, und sie würde nüchtern berichten.
    »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie ich an der Theke im Moments gesessen habe, einer kleinen, gehobenen Bar am Potomac. Da kann man gut hingehen. Ganz normale Leute treffen sich dort, um etwas zu trinken, Ärzte, Anwälte, Banker. Es ist kein Lokal, wo sich Verrückte herumtreiben. Es ist ungefährlich.«
    Auf jeden Fall würde sie erwähnen, dass sie nur ein einziges Glas Weißwein getrunken und die meiste Zeit mit der Barkeeperin geplaudert hatte, während sie auf ihr Blind Date wartete. Seit mehr als einem Jahr war das ihre übliche Beschäftigung an Samstagabenden.
    Irgendwann hatte sich ein Mann auf einen Barhocker neben ihr gesetzt. Er hatte eine Sonnenbrille aufgehabt, sein Bart war ordentlich gestutzt, und er trug einen eleganten, etwas zu großen dunklen Anzug. Es war ein seltsamer, stiller Mann, den man kaum als übermäßig maskulin bezeichnen konnte. Ihr Stiefvater hätte ihn weibisch genannt. Er hatte Wodka bestellt, und beim Klang seiner leisen, krächzenden Stimme war es ihr kalt über den Rücken gelaufen. Aber als sein Drink kam, trank er ihn ohne großes Aufheben, als wäre er ganz zufrieden so allein. Es war einfach gewesen, ihn zu ignorieren.
    Sie erinnerte sich, dass eine Frau hereingekommen war und gerufen hatte, sie habe eine Reifenpanne und brauche Hilfe. Die schrille Stimme hatte die Gespräche und die leise Jazzmusik übertönt.
    Sie hatte sich umgedreht, um zu sehen, wer da so einen Lärm machte. Sie hatte die Frau als uninteressant eingestuft, als bedeutungslose Unbekannte. Sie hatte sich wieder ihrem Getränk zugewandt und den Zwischenfall bereits vergessen, bevor sie den nächsten Schluck trank.
    Und dann … dann war sie hier aufgewacht. In einem dunklen, muffigen Keller, an den Fußboden gekettet.
    Oh Gott, wie sehr wünschte sie sich, diese Geschichte zu erzählen. Gerettet zu werden.
    Sekunden vergingen, Minuten. Schließlich hörte sie bedächtige Schritte. Bedächtig, nicht hastig. War es die Vorsicht eines Retters oder die sorglose Ruhe eines Wahnsinnigen? Unmöglich zu sagen.
    Sie hatte noch immer Hoffnung. Wenn ihr Retter nun einfach nur vorsichtig war? Er wusste ja nicht, dass sie hier unten lag. Er musste auf der Hut sein.
    Bitte, beeil dich.
    Die Tür oben an der Treppe öffnete sich, und der Umriss einer Gestalt wurde sichtbar. Wer war das? Er stieg die Stufen herab und trat langsam in den Lichtschein des Feuers.
    Ihr Kidnapper.
    Kein Retter.
    Kein Entkommen.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, rannen seitlich über ihr Gesicht und sammelten sich in ihrem wirren, blonden Haar.
    Er ging an ihr vorbei, als wäre sie unsichtbar, und richtete seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf das Feuer. Er stocherte in der Glut und pfiff leise, während er die Flammen hingebungsvoll weiter anfachte.
    Immer noch strömten ihr Tränen über das Gesicht. Schau mich an, verdammt noch mal! Sieh die verängstigte Frau in mir! Sie war ein guter Mensch. Sie kam aus einer anständigen Familie. Natürlich, sie feierte gern. Aber wer tat
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