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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen
Autoren: Gert Heidenreich
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Gründerzeithauses durch eine Pforte in der Mauer und verschwanden im Dunkel der Gasse, die, kopfsteingepflastert und abschüssig, in eine Straße mündete. Zurück ließen die Legionäre ihre Namen, die der Großabt ihnen gegeben hatte, ihre dunkelblauen Kutten, schwarzen Zingula und weißen Skapuliere mit dem roten Wappen und den Buchstaben IHP. Ihren heiligen Eid und ihren Auftrag nahmen sie mit hinaus in die Welt ihres bürgerlichen Lebens, wo die meisten Menschen blind waren für das Böse. Sie waren die letzten, die noch einen Blick hatten für die gegenwärtige Macht des Antichrist. In der Nacht hatten sie das Urteil bestätigt, das an einem häretischen Forscher vollzogen werden sollte. Der Prozess hatte Stunden gedauert. Wie immer waren die Belege geprüft, die Argumente für und wider abgewogen worden, bevor sie sich entschieden, den Gotteslästerer dem inneren Scheiterhaufen zu überantworten. Der Verurteilte wusste, wie alle anderen vor ihm, nicht, wie wenig Lebenszeit ihm noch blieb. Er war ein wissenschaftlicher Diener Luzifers, der die Zellen menschlicher Embryonen für seine teuflischen Versuche missbrauchte. Nun lag es an Petrus Venerandus, ob er den Auftrag erteilte, das Urteil zu vollziehen. Es war nicht mehr ihre Sache. Sie trennten sich, gingen einzeln durch die verwinkelten Gassen bis zu ihren in Nebenstraßen korrekt geparkten Wagen und fuhren davon, während die Stadt schlief, die Kirchenglocken still in den Türmen hingen und niemand daran dachte, dass die Inquisition zurückgekehrt war.
    Petrus Venerandus hatte Ranuccio Farnese gebeten, diese Nacht im Haus zu bleiben, und den Brüdern Giovanni Salviati, Domenico de Cupis und Philippe de la Chambre Anweisung gegeben, ab und zu nach dem jungen Mann zu sehen. Sie waren Legionäre, die kein Leben außerhalb des Hauses hatten und es auch fast nie verließen. Jedem waren bestimmte Aufgaben zugeteilt. Giovanni Salviati konnte medizinischen Beistand leisten, de Cupis hatte die Küche unter sich, und de la Chambre war Dekan, Cellerar und Novizenmeister in einem – ein zuverlässiger, untersetzter Elsässer, Anfang sechzig, der unter seinem bürgerlichen Namen Klaus Dilger auf der Suche nach der göttlichen Wahrheit schon mehr als zwei Jahrzehnte den späteren Großabt auf seinem Weg durch verschiedene Orden und Gruppen begleitet hatte. Beide hatten im Innsbrucker Opus Sanctorum Angelorum die Engelsweihe erhalten, gingen nach dem Verbot dieser Weihe durch den Vatikan zum Opus Dei, wo man sie jedoch hinauswarf, als sie während einer Mexiko-reise den Legionären Christi des Marcial Marciel beitraten. Als der des sexuellen Missbrauchs von Priesterzöglingen bezichtigt wurde und sich herumsprach, dass er mit einer Geliebten ein Kind hatte, verließen sie Mexiko fluchtartig und suchten in Argentinien Anschluss an die Piusbrüder, von denen sie bald zur Petrusbruderschaft wechselten. Die Schriften des Paters Franz Stephan Griese, der 1938 exkommuniziert worden war und in Buenos Aires lehrte, machten beide mit dem »Antimodernisteneid« des Papstes Pius X. aus dem Jahr 1910 bekannt: »Ich verwerfe den Irrtum, der das göttliche, der Braut Christi übergebene Vermächtnis durch eine Erfindung unseres Denkens ersetzen will.« Petrus, der damals noch nicht Venerandus genannt wurde, sah sich berufen zur Rettung der Kirche, damit der Welt, und gründete seine Legio Angelorum . Galt nicht das große Gebet von Papst Leo XIII. zum Erzengel Michael für die heutige Zeit ebenso wie für 1888, als Leo nach dem morgendlichen Messopfer plötzlich in Trance gefallen war und die Stimmen Jesu Christi und des Satans vernommen hatte, der sich rühmte, er könne die Kirche Gottes in fünfundsiebzig Jahren zerstören? Das »Michaels-Gebet«, das Leo XIII. danach schrieb: War es nicht eine Weissagung für die Gegenwart? Venerandus betete es kniend jeden Abend. Und jedes Mal verhieß es sieben Jahre Ablass im Fegefeuer: »Die grausame Urschlange, die auch Teufel oder Satan genannt wird, hat wieder Mut gefasst. Verwandelt in einen Lichtengel, wandert er mit einer Vielzahl böser Geister herum, um den Namen Gottes und seines Christus auszumerzen. Diese gerissensten Feinde haben die Kirche, die unbefleckte Braut des Lammes, mit Galle erfüllt und ihre frevlerischen Hände auf den Sitz des heiligsten Peter und den Thron der Wahrheit zur Erleuchtung der Welt gelegt. Erhebe dich denn, heiliger Michael, oh unbesiegbarer Prinz, bringe dem Volk Gottes Hilfe gegen die Angriffe der
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