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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen
Autoren: Gert Heidenreich
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hörte auf zu schreiben und lehnte sich zurück. Nach einer Minute sicherte das Programm den Text selbsttätig, verschlüsselte ihn wieder und schloss ihn. Petrus entnahm dem rechten unteren Schreibtischfach eine Flasche Bunnahabhain und ein großes Glas, füllte es gut zu einem Drittel mit dem Single Isle Malt und begann trinkend, den Willen Mariae in sich selbst zu erforschen. Er wusste, dass ihr Wille in seinem Inneren verborgen lag. Es galt nur, ihn zu erkennen und zu verstehen. Prof. Dr. Peter Abraham Darton sollte als Nächster den inneren Scheiterhaufen besteigen. Morgen würde einer der schon mehrfach bewährten Brüder den Schuldspruch der Inquisitio vollstrecken: Konrad von Marburg, mit bürgerlichem Namen Peter Kruhis, ein knapp fünfzig Jahre alter Forstwirt aus Mainz und vorwiegend als Baumfäller in der Starkholzernte tätig, hatte sich bei seiner Firma vor vier Tagen krankschreiben lassen und wartete in Frankfurt auf die Botschaft, die ihm erneut einen Mord im Dienst des Himmels befehlen würde. Anders als Ranuccio kannte er keinerlei Bedenken. Petrus Venerandus hatte manchmal das Gefühl, dass Konrad mit durchaus weltlicher Freude und profaner List ans Werk ging.
    Auch auf dem Biologenkongress in Frankfurt würde sich niemand darum kümmern, wenn Prof. Darton, angereist aus Chicago, eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung, in der Halle des Kongresshotels von einem Mönch angerempelt und kurz festgehalten würde. Salviati hatte Konrad das Gift zukommen lassen. Die Injektion bewirkte ein inneres Verbrennen. Ein winziger Stich in den Hals, ein halber Kubikzentimeter Conotoxin nur, und das Feuer lief durch die Adern ins Herz: Der Scheiterhaufen loderte mitten im Körper des Sünders. Lungen und Herz wurden gelähmt. Und keine Macht der Welt konnte ihn mehr aus dem inneren Feuer retten. Petrus Venerandus stand auf, lief langsam zum Fenster und starrte in die Nacht. Tonlos bewegten sich seine Lippen im Gebet, er hoffte auf ein Licht in der Schwärze, auf ein Licht in ihm selbst, das ihm helfen würde, Bruder Konrad die richtige Entscheidung zu übermitteln. Nichts geschah. Spielte die Schlange wieder mit dem Zweifel? Nein, Prof. Dr. Peter Abraham Darton war nicht irgendein Mann im Dienst der Wissenschaft, er wollte aus den Zellen der Ungeborenen das göttliche Leben entfernen und sie zu widernatürlichen Zwecken manipulieren. Kein Wunder, dass der Herr der Finsternis seinen nützlichen Gehilfen retten wollte vor der Verbrennung! Das Gericht der Inquisitio Haereticae Pravitatis hatte seine Entscheidung gefällt. Petrus Venerandus und seine Brüder machten es sich nicht leicht damit. Jeden Ketzer prüften sie sorgfältig, bevor sie das Urteil über ihn sprachen. Doch Darton war kein Forscher, er war ein Werkzeug Satans und riss in dessen Auftrag alle Schranken ein, die Gottes Schöpfung dem Menschen gesetzt hat. Außerdem war er als Jude mitschuldig am Tod Jesu Christi. Er gehörte dem Feuer. Der Großabt nickte, als sei der Richtspruch ans nächtliche Fenster vor ihm geschrieben und warte darauf, von ihm bestätigt zu werden. Gottes Natur selbst hatte die Inquisition auf den richtigen Weg geführt: Ein Gegengift zu dem Conotoxin der Kegelschnecken Conus stercusmuscarum, circumcisus, striatus, geographus und Conus textile gab es nicht. Die Wirkung jener Mischung aus über achtzig Toxinen, eines der wirksamsten Gifte überhaupt, verstärkte Bruder Giovanni Salviati noch, indem er die hundertfache Menge einer Dosis, die sich pro Giftpfeil gewinnen ließ, für die Injektion sammelte und dabei die Variationen, die verschiedene Kegelschnecken produzierten, vermengte. Dafür ließ er den schön gemusterten Tieren täglich ausgiebig ihre Lieblingsnahrung, Borstenwürmer, in das Aquarium fallen. War es etwa nicht göttliche Fügung gewesen, die den Meeresbiologen Salviati aus einem Forschungsinstitut in Bath-Upon-Avon auf der Suche nach dem Heil seiner Seele zu ihnen geführt hatte? Damals war er als Dr. Peter Wordsworth durch die Welt getaumelt. Seine Frau hatte ihn aus Liebe zu einer Näherin im Kostümmuseum von Bath verlassen. Sie an einen anderen Mann zu verlieren, hätte er vielleicht verwunden. Aber an eine Frau! Er ekelte sich vor der Widernatürlichkeit, die in der Gesellschaft um sich griff, ertränkte seine Wut im Whisky, verlor seinen Job, fiel aus seinem bürgerlichen, akademischen Leben und war nach nicht einmal einem Jahr zu einem stinkenden, von Fliegen belästigten Bettler auf der Pulteney
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