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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman
Autoren: H kan Nesser
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plötzlich wieder Leid. Und das zum zweiten Mal in so kurzer Zeit – einem Monat vielleicht nur – und da stimmte ja vielleicht doch, was er gehört hatte:
    Je älter sie werden, desto menschlicher können sie uns vorkommen.
    Aber war dabei nicht die Rede von Berggorillas gewesen?

39
    Die Lokale der Gesellschaft lagen eine halbe Treppe unter Straßenniveau in einer engen Gasse, die am Cronin-Platz anfing und mit einer Feuerwand endete. Auf allen Stadtplänen und dem verrußten und nur noch halb lesbaren Schild über dem Antiquariat Wildt an der Ecke trug sie den Namen Zuygers Stieg. Im Volksmund hatte sie jedoch immer nur Messerstechergasse geheißen, nach einem ungewöhnlich brutalen
Mord gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Körperteile von zwei Prostituierten fast in der ganzen zwanzig Meter langen Gasse herumgelegen hatten. Entdeckt wurden sie von einem jungen Domherrn, der danach in die Irrenanstalt Majore in Willemsburg eingesperrt werden musste. Trotz ausgiebiger Ermittlungsarbeiten konnte niemals ein Täter gefunden werden.
    Van Veeteren schaffte es bei seinen Besuchen in der Gesellschaft nur selten, sich nicht an diese Sache zu erinnern, und auch an diesem Abend gelang ihm das nicht.
    Vielleicht war früher ja doch alles schlimmer, dachte er, als er in der Tür den Kopf einzog und unter das düstere Gewölbe trat.
    Mahler saß wie immer ganz hinten, in der abgetrennten Ecke unter dem Dürerstich, und er hatte die Figuren schon aufgestellt. Van Veeteren nahm seufzend Platz.
    »Ach je«, sagte Mahler und bohrte die Finger in seinen buschigen Bart. »War das so schrecklich?«
    »Was denn?«, fragte Van Veeteren.
    »Was denn? Das Gemetzel natürlich. Die grünen Männer mit dem blutigen Handwerk.«
    »Ach, das«, sagte Van Veeteren. »Das war eine Bagatelle.«
    Mahler machte für einen Moment ein verlegenes Gesicht.
    »Aber was, zum Teufel, macht dir denn dann so zu schaffen? Auferstehung ... Frühling lässt sein blaues Band und überhaupt, die ganze Natur schüttelt sich vor Wohlbehagen, weil das Fest des Lebens heraufzieht. Wieso, zum Teufel, kommst du dann her und seufzt?«
    »Ich habe ein Problem«, sagte Van Veeteren und versetzte den ersten Bauern.
    »Ich habe tausend«, sagte Mahler. »Prost auf jeden Fall und willkommen zurück aus dem Totenreich.«
    Sie tranken und Mahler beugte sich über das Brett. Der Kommissar steckte sich eine Zigarette an und wartete. Bei allen Menschen, mit denen er seit den ersten Anfängen vor
über vierzig Jahren jemals Schach gespielt hatte, war ihm kein einziger Gegner über den Weg gelaufen, der die Partien so durchführte wie Mahler. Nach der anfänglichen Konzentration, für die er zehn oder zwölf Minuten brauchen konnte – vor dem ersten Zug eben –, konnte er dann über dreißig Züge machen, ohne insgesamt auch nur eine Minute nachdenken zu müssen. Ehe es dann zum Ende kam, gönnte er sich eine weitere Tiefenanalyse von zehn Minuten oder einer Viertelstunde, dann beendete er die Partie im selben wütenden Tempo – egal, ob er auf Gewinn, Remis oder ehrbare Niederlage spielte.
    Er selber hatte keine richtig plausible Erklärung für seine Methode, abgesehen davon, dass es eine Rhythmusfrage sei.
    »Ab und zu kann es mir wichtiger vorkommen, überhaupt einen Zug zu machen, als welchen Zug«, hatte er behauptet. »Wenn du verstehst, was ich meine.«
    Was bei Van Veeteren nicht der Fall gewesen war.
    »So ist es auch mit den Dichtern«, hatte der alte Poet verraten. »Oft starre ich ewig lange in die Dunkelheit hinein, bis zu einer halben Stunde oder mehr – dann greife ich zur Feder und schreibe alles auf. Im Affenzahn, es darf keine Unterbrechung geben.«
    »Und was läuft dabei in deinem Schädel ab?«, hatte Van Veeteren wissen wollen. »Während dieser Aufladungszeit, meine ich.«
    Mahler hatte keine Ahnung, wie sich dann herausstellte.
    »Ich trau mich auch nicht, das genauer zu untersuchen«, erklärte er. »Bestimmte Dinge vertragen das nicht. Dann sterben sie.«
    Van Veeteren trank einen Schluck Bier, dachte über das alles nach und wartete auf Mahlers Zug.
    Handeln ohne zu denken, dachte er.
    Sah das so aus?
    Vielleicht gab es doch irgendwo irgendeinen Berührungspunkt?

     
    »Na?«, fragte Mahler, als sie sich nach weniger als einer Dreiviertelstunde auf Remis geeinigt hatten. »Was ist also los?«
    »Ein Mörder«, sagte Van Veeteren.
    »Bist du nicht bis Ende des Monats krankgeschrieben?«
    »Das schon«, sagte Van Veeteren. »Aber ich
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