Das Ende der Nacht: Horror-Roman
hatten schon viele Nächte mit Bier, Zigaretten und Videos verbracht. Die erste folgte gleich nach einem Urlaub in Berlin, den sie getrennt begonnen und gemeinsam beendet hatten. Kennengelernt hatten sie sich damals in einer Kneipe, zufällig zu der Zeit einer Loveparade, und sie stellten schon nach wenigen Minuten fest, wie viel sie gemeinsam hatten.
Beide waren aus Hamburg, hatten diesen Faible für Horror- und Gewaltfilme und ein Händchen für unpassende Kommentare zum richtigen Zeitpunkt. Ebenso ähnlich waren ihre Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und warum sie „immer wieder von Männern verarscht werden mussten, damit sie herausfanden, wie sie den Spieß umdrehen konnten“. Christina und Michelle besaßen dieselbe, schlanke Figur, den kleinen, festen Busen, kurze, blonde Haare, blaue Augen sowie den gleichen Geschmack bei Kleidung. Eigentlich unterschieden sie sich nur in ihrem Alter. Während Christina achtzehn Jahre alt war und erst die elfte Klasse eines Gymnasiums besuchte, war Michelle mit ihren einundzwanzig Jahren fertig mit dem Abitur und studierte schon im zweiten Semester Germanistik. Ihr liebstes Hobby neben den Videos war das Shoppen. Es verging kaum eine Woche, in der sie nicht mit einem neuen Kleidungsstück nach Hause kamen, das ihren düsteren doch femininen Stil unterstrich. Und es verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht sahen oder zumindest telefonierten. Seit ihrer ersten Begegnung waren Christina und Michelle unzertrennlich. Verwandte Seelen.
Es war bereits nach Mitternacht und sie schauten gerade Die Nacht der lebenden Toten , den Zombie-Klassiker von George A. Romero aus dem Jahre 1969.
„Wusstest du eigentlich“, sagte Michelle und bemühte sich, nicht zu lallen, „dass Romeros Film der erste in Hollywood überhaupt war, in dem ein Schwarzer die Hauptrolle spielen durfte?“
Christina schob sich Popcorn in den Mund und sagte: „Neimpf“.
„Und er bekam dafür sowohl gute als auch schlechte Kritiken. Er hatte sich etwas getraut, das noch keiner vor ihm gewagt hatte.“
„Okay“, sagte Christina, „aber weißt du, was sie für die Gedärme nahmen, sozusagen als Spezial Effekt?“
„Das ist doch alt, Tini: Schweinegedärme.“
„Die Komparsen tun mir echt leid. Die mussten auf dem Zeugs rumkauen.“
Michelle drückte den Knopf der Armlehne und fuhr wieder in eine liegenden Position.
„Was tut man nicht alles für die Kunst“, sagte sie.
Christina blieb ruhig und schaute wieder auf den Fernseher. Die Zombies nahmen mittlerweile das Haus ein, in dem sich eine Gruppe von Leuten eingeschlossen hatte. Das Gemetzel erreichte seinen Höhepunkt.
„Sag mal“, sagte Michelle, jetzt kam es ihr so vor, als würde sie lallen, „willst du nicht mal deinen süßen Arsch in die Küche bewegen und dir und deinem Gast was gegen den Durst holen?“ Sie lächelte.
„Nichts dagegen einzuwenden“, erwiderte Christina und zündete sich eine Zigarette an. Sie startete einen ersten Versuch, vom Sofa aufzustehen, und ließ sich wieder fallen und stöhnte.
„Musst du kotzen, Tini. Jetzt schon?“
„Halt die Klappe, Weib, ich schaff' das schon. Es ist nur... so gemütlich.“
Christina räkelte sich auf der Couch, streckte Arme und Beine von sich und wälzte sich auf dem Rücken hin und her.
„Verstehe“, sagte Michelle und nahm eine Zigarette und damit die letzte, die sie hatten, aus der Schachtel und zündete sie an. Christina versuchte, erneut aufzustehen, und mit einem lauten Ächzen kam sie auf die Beine. Schwankenden Schrittes ging sie in Richtung Küche. Michelle drückte wieder den Knopf und der Fernsehsessel hob sie in eine sitzende Position.
„Fall nicht hin!“, rief sie, „Und bring´ bitte das Telefon mit. Ich will Steven anrufen.“
„Wird erledigt!“ rief Christina zurück.
Die Schlussszene des Films flimmerte über den Bildschirm, als Christina sich setzte und Michelle eine Bierdose und das Telefon reichte. Gebannt verfolgten sie die Standbilder, in denen der erschossene Schwarze, die Hauptfigur, von den Zombie-Jägern an Haken, die sie in sein Fleisch gestoßen hatten, zum Scheiterhaufen gebracht wurde. Zum Schluss wurde er mit den echten Zombies verbrannt. Die End-Credits erschienen.
„Ein trauriges Ende“, sagte Michelle und nahm einen tiefen Schluck aus der Dose, „Romero war mit diesem Film seiner Zeit viel zu weit voraus. Kein Wunder, dass er heute im Museum of Modern Art zu finden ist. Einer der wenigen, die es damals verstanden, das
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