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Das Ende Der Ausreden

Titel: Das Ende Der Ausreden
Autoren: Brigitte Roser
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stärker geworden ist, als mein Zögern zu handeln. Die Zeit muss reif sein, ehe wir die Vertrautheit eines bekannten Unglücks gegen das Risiko eines ungewissen Glücks zu tauschen bereit sind. Denn das Problem loszulassen heißt, ins Risiko zu gehen.
    Zu Beginn meiner Berufstätigkeit ging ich davon aus, dass Menschen, die ein Problem haben, dieses lösen wollen. Gut, ich wusste natürlich, was ein sogenannter sekundärer Krankheitsgewinn ist: Jemand leidet unter einer Krankheit, aber er bekommt auch etwas dafür. Dieses Etwas kann manchmal der Grund der Krankheit sein. Wenn ich krank bin, kümmert man sich um mich; oder anders ausgedrückt, viele Menschen müssen erst krank werden, ehe sie zulassen können, dass man sich ihnen liebevoll und hilfreich zuwendet. Oder: Wenn ich krank bin, kann ich legitim Dinge vermeiden, zu denen ich mich sonst verpflichtet sähe. Ich wäre wirklich gerne zu dem Familientreffen gekommen (auf dem es die letzten Jahre immer grässliche Auseinandersetzungen gab …), aber leider hat mich der Ischiasnerv aufs Lager gezwungen, ich kann keinen Schritt ohne Schmerzen tun. Die Metaphorik vieler Krankheiten ist beeindruckend, der Körper ist ein fabelhafter Ausredenerfinder. Wie eine gute Freundin einmal sagte: »Jetzt muss ich nur noch lernen, keinen Hexenschuss zu bekommen, wenn ich es mir gönne, daheim zu bleiben.«
    Mir war demnach bewusst, dass Menschen an ihren Krankheiten und Störungen festhalten (müssen), und es dadurch ein Sträuben gegen Heilung gibt, selbst wenn das paradox scheinen mag.
    Aber ich hatte mich ja nicht für eine psychosomatische Klinik, sondern für die Personalentwicklung in Firmen entschieden. Und da hatte ich nicht mit Widerstand gegen Problemlösungen gerechnet.
    Menschen in Unternehmen schilderten mir ein Problem, und ich hörte ihnen mit der Erwartung zu, dass sie mit mir aktiv nach einer Lösung suchen wollen. Diese Annahme erfüllte sich oft nicht. Immer, wenn ich von denjenigen, die in den Problemschilderungen als Verursacher, Schuldige, Täter definiert wurden, weg- und auf die Handlungsmöglichkeiten des Erzählers kommen wollte, wurde es schwierig. Ausgiebig wurde über die anderen geredet, geschimpft, geklagt. Meine Fragen, was man denn selbst unternehmen wolle, passten nicht ins Konzept.
    Ein Vertriebsleiter, der die letzten zehn Jahre für einen Konzern in Fernost zugebracht hatte, war nach Europa zurückgekehrt, um hier eine erweiterte, internationale Verantwortung in der Zentrale wahrzunehmen. Er übernahm die Sekretärin seines Vorgängers, der aus Altersgründen ausgeschieden war. Eine »verdiente Kraft«, hatte man ihm versichert, sein Vorgänger und sie hätten viele Jahre einvernehmlich zusammengearbeitet. Sie kenne die Firma, vor allem die Netzwerke in der Zentrale, in- und auswendig und werde ihm daher eine große Unterstützung sein können.
    Sie war der Grund für unseren Coachingtermin.
    Er schilderte in allen Schattierungen der Empörung, was sich diese Frau alles erlaube: Sie gehe in der Woche einmal zum Friseur und einmal zur Maniküre, während der Arbeitszeiten wohlgemerkt. Und neulich habe er sie – das sei ja wohl der Gipfel! – einen Termin im Sonnenstudio ausmachen hören. Es sei skandalös, dass sie dabei nicht das geringste Unrechtsbewusstsein habe. Was sie sich bloß denke?
    »Nichts«, war meine Vermutung. Warum sollte sie auch? Wenn sein Vorgänger keine Einwände gehabt hatte, woher sollte sie dann wissen, dass der Neue sie hat? Dieses Argument schmetterte er nachdrücklich ab. Das sei doch völlig klar, dass das ein unmögliches, inakzeptables Verhalten sei. Das verstehe sich von selbst.
    Auf dieses Moment des »Selbstverständlich!« werden wir noch mehrfach zurückkommen.
    Ob er denn bereits mit ihr über seinen Ärger und seine Erwartungen gesprochen habe?, versuchte ich die Situation weiter zu verstehen.
    Nein, hatte er nicht. Und das habe er auch eigentlich nicht vor. Was mich nun wiederum wirklich verwunderte. Wie will man jemanden dazu bringen, ein über Jahre geprobtes Verhalten zu verändern, ohne mit ihm zu reden?
    Nur mit Mühe konnte er sich diesen Gedanken öffnen, man konnte richtig sehen, dass der Verdacht in ihm arbeitete, ob er es jetzt nicht noch mit einer weiteren unmöglichen Person zu tun hatte. Mit ihm über die Sekretärin schimpfen und vielleicht juristische Schritte vorschlagen – das hätte ich sollen. Dass ich ihn nicht als Opfer eines von ihr verursachten Skandals betrachtete, sondern als
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