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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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morgen früh kommen die Gendarmen und führen mich ab. Es wird einen großen Prozeß geben, mein Name wird in aller Munde sein, in allen Akten, in allen Verwünschungen. Und Vater wird man verhören, die Mutter, die Geschwister und die Freunde.
    Was wird der König sagen, wenn der Sohn seines Münzmarschalls ein Mörder ist!
    Er wird den Vater in Ungnade werfen.
    Das Studium des Bruders ist gefährdet.
    Die Mutter würde zerbrechen an dieser Schande.
    Und wo sie hingehen, wo man sie sehen würde, flüsterten die Leute: Der Kummer ist der Vater eines Mörders!
    Mörder! Mörder!
    Otto Heinrich stöhnte. So ist also das Ende, dachte er, natürlich, das ist einfach das Ende. Eine große Liebe, eine große Einsamkeit, eine große Schuld und ein einfaches Sterben. Wo ist da die herrliche Unsterblichkeit, wo das Ewige, das ich im Traume sah?
    Leben, lieben, leiden, sterben – aus!
    Wie lächerlich einfach das alles ist!
    Er richtete sich aus seiner verkrampften Haltung am Fenster auf, riß seinen Mantel vom Haken, schloß die Tür des Ladens auf und trat hinaus auf den Markt.
    Langsam schritt er zum Brunnen, umkreiste ihn, ging dann hinüber zu den Schaufenstern der Läden, schaute hinein und sah in dem blanken Glas schwach sein gequältes, bleiches Gesicht. Die Augen waren stumpf und leblos, die Haare wirr und strähnig.
    »Das also bin ich jetzt«, murmelte er. »So sehe ich aus. So sieht ein Mörder aus?« Er schloß das eine Auge und blinzelte unter dem Lid des anderen auf sein Spiegelbild. Den Kopf legte er ein wenig zurück. Er sah in der Scheibe so aus, als spiegele sich das Antlitz eines Toten.
    »Schön«, flüsterte Kummer, »wunderschön. Dieser Friede, wenn die Augen geschlossen sind.« Und plötzlich riß er die Augen wieder auf und prallte vor dem stumpfen Blick zurück, der ihm entgegenstarrte. »Ekelhaft«, murmelte er. »Ekelhaft diese Augen, dieses Leben, das nicht will, aber muß! – Ich kann mich nicht mehr sehen.«
    Er schlug mit der flachen Hand gegen sein Spiegelbild und schrie: »Du Mörder!« Dann eilte er mit schnellen Schritten weiter über den Markt und tauchte im Schatten der Häuser unter.
    Ziellos durchstreifte er Frankenberg, eilte durch Gassen, die er noch nie gesehen hatte, umkreiste den Weiher, auf dem die Jugend am Tage Schlittschuh lief, schlich sich zur Posthalterei und legte das Ohr an die Stalltür, lauschte auf das Scharren der Pferde und das Klirren der Ketten, lief dann zurück in die Stadt und wanderte von Laden zu Laden, in jedem Fenster sein Gesicht ansehend und »Mörder!« rufend.
    Als er die Stadt durchwandert hatte, kletterte er den steilen Berghang hinauf, ächzte durch die froststarren Tannen und sank auf die Kuppe eines Hügels auf einem Baumstumpf nieder, müde, matt und nach Luft ringend.
    Der Eiswind spielte in seinen Haaren, griff durch die Kleidung an seinen Körper und schüttelte ihn.
    Mörder … Mörder … Mörder …
    »Sterben!« schrie er da grell, sprang auf und klammerte sich an den Stamm einer Tanne. »Sterben! Ja, ich will sterben!!«
    Zitternd hetzte er den Berg herab, stolperte über Wurzeln und Stümpfe, wankte im Tale durch die Straßen, riß die Tür der Apotheke auf und sank über dem Ladentisch zusammen.
    Mörder … Mörder … Mörder …
    »Ich halte das nicht aus!« schrie Kummer und schlug um sich, als könne er die Gesichter zertrümmern. »Ich werde irrsinnig … irrsinnig!«
    Auf einmal war alles vorbei.
    Verwundert ließ er die Hände sinken und blickte sich um. Sein Blick war klar, merkwürdig ruhig schlug sein Herz.
    Auch seine Gedanken schwiegen. Er konnte nicht mehr denken, er sah nur einen sinnlosen Befehl vor sich, den ihm sein Herz gab und der sein ganzes Inneres berauschte.
    Wie ein Greis schlurfte er in das Laboratorium, entzündete mit Feuerstein und Zunderschwamm ein Feuer, steckte eine große Unschlittkerze an und ging zu dem Tisch, auf dem einsam die Flasche mit Curare stand.
    Lange betrachtete er sie, schüttelte die Flüssigkeit und setzte dann die Flasche wieder auf den Tisch. Aus der Lade des Giftschrankes nahm er das Rezept der jungen Frau, holte die Feinwaage wieder aus der Glasglocke, stellte Schalen und Becher zurecht und begann, die gleiche Medizin zu mischen.
    Peinlich genau wog er die zehnfache Menge der Gewichte ab, schüttelte und ließ die Mischung abstehen und griff dann nach der Flasche Curare.
    Schwach blinkte im Kerzenlicht der grinsende Totenschädel.
    Seine Augen schienen zu blinzeln.
    »Alter Freund«,
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