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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte sich an seinem Herrn vergriffen!
    Mit einem lauten Stöhnen wandte er sich ab und jagte die Treppe hinauf in seine Kammer, warf sich auf sein Bett und vergrub sein Gesicht in die Decken.
    Du bist ein Schuft, schrie es in ihm, du hast dich nicht beherrscht, du bist ein Lump, der seinen Meister schlägt. Den Apothekerstand hast du besudelt, du, in deiner Ehre gekränkter Fant, du, Otto Heinrich Kummer, Sohn eines ehrbaren, hochgeachteten Vaters. Dein Name ist beschmutzt, alles, alles, hast du mit diesem Schlag erschlagen … den Beruf, die Heimat, die Liebe und Ehre der Eltern, das Recht auf Achtung, die Stimme des Gewissens, die Schönheit einer erträumten Zukunft …
    Lautes Weinen erschütterte den schmalen, gequälten Körper. Die Finger krallten sich in die Decken und rissen an dem Tuch.
    »Vergebung«, stammelte Kummer. »Wenn keiner vergibt, du, Herr im Himmel, verzeih mir …«
    Schluchzend lag er die halbe Nacht und horchte auf jedes Geräusch im Hause. Aber nichts rührte sich.
    »Ich habe ihn erschlagen«, stammelte er. »Ich habe ihn ermordet … ich bin ein Mörder …«
    Doch er wagte es nicht hinunterzugehen und nachzusehen. Er lag auf seinem Bett, starrte an die Decke und wand sich in der Qual seines Gewissens.
    Als der Morgen graute, saß er am Tisch, der Kopf lag auf einem Blatt Papier, schlaff hingen ihm die Arme an den Seiten herunter. Ein Gänsekiel, der aus seinen Fingern geglitten war, lag zwischen seinen Füßen. Die blonden Haare waren zerwühlt und naß von Schweiß. Bleich schimmerte die zarte Haut seines Gesichtes.
    Otto Heinrich schlief.
    Erschöpft, zusammengebrochen, vernichtet.
    Als die trübe Sonne über die vereisten Schindeln spielte, packte Otto Heinrich Kummer seine Koffer.
    Der Weg in die unendliche Freiheit lag vor seinem Blick.
    Mit zusammengepreßten Lippen packte er. Wie gehetzt eilte er umher.
    Im Geist sah er vor sich das lange Band der Straße.
    Eine Straße durch Hügel, Wälder und Täler.
    Die Straße nach Böhmen.
    Es war um die Mittagszeit, als Otto Heinrich von der Posthalterei die Nachricht erhielt, daß wegen des hohen Schnees erst am 20. Februar eine Post nach Dresden fuhr. Auch die Straßen nach Chemnitz und Böhmen seien unpassierbar, und eine Extrapost verkehre nur zwischen Dresden und Meißen mit Anschlüssen nach Berlin.
    Eine Fahrt sei deshalb bis zum 20. Februar von Frankenberg ab unmöglich.
    Ratlos saß Kummer in seinem Zimmer auf dem umgestülpten Koffer und stützte das Kinn in die auf das Knie gestemmte Hand.
    Der Fluchtweg war ihm abgeschnitten.
    Wie Willi Bendler zu Fuß oder heimlich hinter Kutschen zu reisen, war ihm nicht möglich. Sein Körper war die Rauheit nicht gewöhnt und mußte schon nach wenigen Stunden zusammenbrechen.
    Aber auch im Haus bleiben konnte er nicht mehr! Wenn Knackfuß ihn der Polizei nicht überlieferte, so war es klar, daß er die Apotheke heute noch verließ.
    Jedoch wohin sich wenden? In einem Gasthof wohnen? Man würde Fragen stellen, der Klatsch der kleinen Stadt würde hohe Wogen schlagen, sie würden ihn ersticken unter Worten … es war unmöglich, wenn er seine Ehre wahren sollte.
    So saß er ohne Essen bis zum Abenddämmern auf seiner Kammer und blickte aus dem kleinen Fenster. Er sah Knackfuß einmal durch den Garten gehen und fühlte in sich eine heiße Reue, diese alte, fast zerknittert wirkende Gestalt geschlagen zu haben. Doch dann dachte er wieder an die ungeheuerlichen Beschimpfungen und empfand einen großen Triumph, seinen Namen von Unrecht gereinigt zu haben.
    Leise klopfte es an die Tür.
    Otto Heinrich fuhr herum und lehnte sich an die Wand.
    »Ja?« rief er und wartete.
    Ein Apothekergeselle trat ein und musterte Kummer ängstlich.
    »Der Herr Prinzipal läßt sagen«, stotterte er, »daß Sie bis zum Ende des Monats den Nachtdienst übernehmen. Sie müßten wach bleiben und im Labor sich aufhalten. Am Tage hätten Sie dann frei und könnten schlafen. Und« – der Geselle stockte – »am 1. März käme ein neuer Provisor.«
    Er nickte und trat aus dem Zimmer. Schnell schloß er die Tür hinter sich.
    Otto Heinrich setzte sich auf sein Bett.
    Nachtdienst!
    Sonst eine Ehre – heute die Verbannung in das Dunkel, und das Verbot, sich am Tage in der Apotheke sehen zu lassen.
    Verbannt in die Nacht.
    Die Schatten werden zum Schicksal.
    Langsam packte Otto Heinrich wieder die nötigsten Sachen aus seinem Koffer aus und legte sie über das zweite Bett. Bis zum Ende des Monats, hatte der Apotheker
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