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Das Dante-Ritual (German Edition)

Das Dante-Ritual (German Edition)

Titel: Das Dante-Ritual (German Edition)
Autoren: André Lütke-Bohmert
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Hängeschrank, setzte mich Eva gegenüber und goss mir und der Tischdecke Kaffee ein.
    „Danke, dass ich bei dir übernachten konnte“, sagte ich und presste eine Serviette auf die Kaffeepfütze. „Ich hätte sonst nicht gewusst, wohin.“
    Ich beugte mich vor, um auch ihre Tasse zu füllen, doch Eva entwand die Kanne meinen zittrigen Händen. Sie roch nach Lavendel, und für einen flüchtigen Moment sog ich den vertrauten Duft in mich auf. Evas Geruch war einzigartig, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, sie mit geschlossenen Augen aus jeder Menschenmenge herausfiltern zu können. Über ihr neuerdings kurz geschnittenes, mit rötlichen Strähnchen durchzogenes Haar konnte ich mir dagegen noch kein abschließendes Urteil bilden. Als wir noch ein Paar waren, hatte sie nach dem Duschen immer eine Art Turban getragen, um ihre brünette Mähne zu trocknen.
    „Schicke Frisur“, sagte ich, nur um irgendetwas zu sagen.
    „Putz dir die Zähne. Deine Fahne ist unerträglich.“ Eva schöpfte zwei Löffel Zucker in den Kaffee und sah mich einige Sekunden vorwurfsvoll an, während sie umrührte. „Entschuldige“, fügte sie leise hinzu, als ihr wieder bewusst wurde, was geschehen war. „Ich wollte nicht -“
    „Schon in Ordnung“, fiel ich ihr ins Wort. „Du musst mich nicht wie ein rohes Ei behandeln.“
    Evas Gesichtsausdruck hatte etwas Erniedrigendes. Mitleid war ein armseliger Ersatz für die Zärtlichkeit und Sehnsucht, die früher in ihren Augen geschimmert hatten, wenn sie mich ansah. Dennoch war ich froh, dass sie mich letzte Nacht nicht abgewiesen hatte. Seit der Trennung vor drei Monaten gingen wir uns konsequent aus dem Weg, und es musste gut und gerne fünf Uhr früh gewesen sein, als ich mit meinem Rucksack wankend vor ihrer Tür stand. Eva hatte mich regelrecht zur Couch im Wohnzimmer tragen müssen. Hatte sie auch den Taxifahrer bezahlt? In meinem erbärmlichen Zustand war es mir nur in Ansätzen gelungen, das Geschehene in Worte zu fassen, und die schemenhafte Erinnerung, dass ich mich nach meinem wirren Bericht mehrmals übergeben musste, war mir peinlich.
    Eva faltete die Zeitung zusammen und legte sie zur Seite. Ich warf einen Blick auf das Titelblatt. Zugunglück in der Nähe von Hamburg. Ein Toter. Den Menschen, die ihm nahe standen, musste es jetzt ähnlich gehen wie mir. Ich griff nach meinem Tabakbeutel.
    „Du solltest dich noch mal für ein, zwei Stunden hinlegen“, sagte Eva. „Du siehst schlimm aus.“
    Ich fühlte mich in der Tat mächtig verkatert. Daran hatten auch die zwei Aspirintabletten, die Eva mir in weiser Voraussicht noch in der Nacht verabreicht hatte, nichts ändern können. Tequila war noch nie mein Ding gewesen.
    „Hast du wenigstens ein bisschen schlafen können?“
    „Na klar! Wie ein Baby! Ich hab ja nur meinen besten Freund in seinem eigenen Blut schwimmend gefunden und durfte zum Dank dafür auch noch als Verdächtiger herhalten. Wieso sollte mich das um den Schlaf bringen?“ Ich spürte, wie mir wieder die Tränen kamen. „Verdammt, Eva, warum hat er das getan?“
    Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und pustete in den heißen Kaffee. Sichtlich bemüht, einen bissigen Kommentar über die auf dem Küchentisch verstreuten Tabakkrümel herunterzuschlucken. „Mit deinen Grübeleien machst du dir nur selbst das Leben schwer. Es war nicht deine Schuld, Philip. Lass dir um Himmels Willen von niemandem etwas anderes einreden. Schon gar nicht von der Polizei. Wie kommen die überhaupt auf die Idee, du könntest etwas mit Franks Tod zu tun haben?“
    „Soll ich dir mal sagen, auf was für Ideen die kommen? Dass Frank mich in der Videoaufnahme für seinen Selbstmord verantwortlich machen würde – auf solche Ideen kommen die. ‚Zeigen Sie mir diese ominösen Stellen doch mal bitte‘, hab ich gesagt. Hat er natürlich nicht getan, dieser scheißfreundliche Bulle.“
    Ich sah mich auf der Suche nach einem Aschenbecherersatz um. Die Küche war in einem warmen Pastellton gestrichen worden. Zwei Aquarelle hingen jetzt über der Vitrine, in der Eva ihr von Oma Hedwig geerbtes Meissner Porzellan zur Schau stellte. Auf dem Kühlschrank thronte ein neues Elektrogerät. Eine Mischung aus Grill und Mikrowelle. Evas Wohnung schien sich mit jeder Teppichfaser nach Besuch zu sehnen. Ich drehte mich um und aschte in einen der Blumentöpfe auf der Fensterbank. Eva zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
    „Wieso hab ich Idiot mir die Aufnahme nicht angesehen, bevor
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