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Das Dante-Ritual (German Edition)

Das Dante-Ritual (German Edition)

Titel: Das Dante-Ritual (German Edition)
Autoren: André Lütke-Bohmert
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gemeinsame Schachpartie jeden Mittwochabend.
    Letzten Mittwoch hatten wir nicht gespielt. Frank klagte über starke Kopfschmerzen, und ich bekam ihn für den Rest des Tages nicht mehr zu Gesicht.
    Am Vortag war Sören Pape ermordet worden.
    Ich nahm meinen Rundblick in Franks Zimmer wieder auf. Mitten im Raum stand der Camcorder. Die Spurensicherung hatte es nicht für nötig gehalten, ihn labortechnisch untersuchen zu lassen. Mir fiel ein, dass Kevin Siegmann die Kamera spätestens am Mittwoch wieder abholen wollte. Ich brauchte sie eh nicht mehr. Eigentlich hatte ich mir die Kamera ja geliehen, um unsere Protestaktionen gegen die neuesten Sparpläne der rot-grünen Landesregierung zu filmen, aber die interessierten mich im Moment noch weniger als mein Horoskop.
    Über Franks Schreibtisch hing ein Druck von René Magrittes „ Ceci n´est pas une pipe“ . Ich hasste das Motiv. Wie die Kinder hatten sich Frank und Stefan Marcks über jene „Ignoranten“ amüsiert, die den Sinn des Bildes nicht erfassen konnten. Auch mein eigenes Verständnis von Kunst hatte dazu nicht ausgereicht. Gewissenhaft, mit einer Körperhaltung als stünde ich vor der Mona Lisa, hatte ich die Pfeife und den darunter geschriebenen Satz eine halbe Minute lang betrachtet und gemurmelt: „Dies ist keine Pfeife? Was denn sonst? Ein Flugzeug?“
    Worauf Stefan mir mit einem süffisanten „Na dann, viel Spaß beim Rauchen“ ein Feuerzeug unter die Nase hielt.
    Und jetzt machte dieser arrogante Wichser auch noch mit Eva rum.
    Franks Schreibtisch war ein einziges Chaos. Zu bedenklich schiefen Türmen gestapelte Bücher, kreuz und quer verstreute Zettel, Schreibutensilien, unbeschriftete DVD-Rohlinge, eine verdreckte Computertastatur. Den Monitor des PCs hatte er auf einen Teleskoparm montiert. Das Gehäuse stand auf dem Boden.
    Ich schlenderte zum Schreibtisch rüber und schaltete Computer und Monitor ein. Nach dem Booten forderte mich eine Meldung auf, das Passwort einzugeben. Ich wusste, dass Frank regelmäßig Sicherungskopien seiner Arbeit anfertigte, um vor einem Absturz des Betriebssystems oder einem Defekt der Festplatte gefeit zu sein, und griff nach einem der Rohlinge, in der Absicht, ihn an meinem eigenen PC einzusehen - legte die DVD aber wieder zurück. Was sollte das schon bringen?
    Der kleine Bonsai auf der Fensterbank hatte alle Blätter verloren. Mit seinem gewundenen Stamm und den kahlen Ästen sah er aus wie eine Ginsengwurzel. Ich musste schlucken, als mein Blick an dem gerahmten Foto haften blieb, das Frank und mich Sommer letzten Jahres im Garten der Laurenzfamilie zeigte. Wir hatten Steaks gegrillt und Wasserball gespielt. Ich nahm das Bild von der Fensterbank und strich mit einem Finger über den staubigen Rahmen. Franks schwarze Haare fielen in Strähnen über seine melancholischen Augen. Er lachte. Formte mit zwei Fingern das Victory-Zeichen. Den anderen Arm hatte er um meinen Hals geschlungen und drückte mich spielerisch nach unten. Ich musterte mich selbst. Irgendwie gibt es nichts, was mich aus der Masse hervorhebt. Markant ist nur die drei Zentimeter lange Narbe auf meiner rechten Wange, die mir nicht eben selten verächtliche Blicke einbringt, weil sie dem für schlagende Verbindungen typischen Schmiss verdächtig ähnelt. In Wahrheit ist sie ein Andenken an die Gürtelschnalle meines Vaters. Auf dem Foto wirkte die Narbe deplatziert. Das Gesicht, das ich jeden Morgen im Spiegel sah, hatte sie auf der anderen Seite.
    Ich klemmte mir das Bild unter den Arm, sah auf die Uhr und marschierte zur kleinen Abstellkammer, aus der ich einen Hammer und drei Nägel hervorkramte. Auf dem Weg in die Küche schaltete ich im Vorbeigehen den Anrufbeantworter ein und lauschte, Pizza essend, den Nachrichten.
    „Frank? Stefan hier. Samstag kurz nach halb elf. Wo steckst du? Wir sitzen seit zehn beim Kolloquium. Schwing deinen Hintern aus dem Bett und mach dich auf die Socken. Jan ist auch noch nicht da. Du hast noch nichts verpasst. Bis später dann. Tschüss.“
    Ein kurzer Piepton.
    „Bernhard Laurenz, hallo Philip. Ich wollte mich nur kurz erkundigen, wie es dir geht. Du hast uns nicht gesagt, wo wir dich erreichen können. Melde dich bei uns im Hotel, wenn du den AB abhörst. Kopf hoch, Junge. Wir schaffen das schon. Ruf an, ja?“
    Kurzer Piepton.
    Ein Knacken.
    Kurzer Piepton.
    „Philip, hier ist Eva. Wieso bist du einfach abgehauen? Du hast da was in den falschen Hals gekriegt. Stefan ging es nicht gut. Er hat auf dem Boden
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