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Das Dampfhaus

Das Dampfhaus

Titel: Das Dampfhaus
Autoren: Jules Verne
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ich, ja, um davon sprechen zu können, müßte ich das Land doch wenigstens gesehen haben.
    – Sehr schön! versetzte der Ingenieur. Sind Sie nicht von Bombay nach Calcutta durch die ganze Halbinsel gekommen? Nun, und wenn Sie nicht blind waren…
    – Das bin ich nicht, lieber Banks, wohl aber war ich während jener Fahrt geblendet…
    – Geblendet?…
    – Gewiß! Geblendet durch den Rauch, den Dampf, den Staub, noch mehr aber durch die Schnelligkeit der Fortbewegung. Ich will die Eisenbahnen nicht lästern, es ist ja Ihr Beruf, solche zu bauen, mein bester Banks; aber sich in das Coupé eines Waggons einzupferchen, als Gesichtsfeld nichts als die Scheiben der Wagenthür zu haben, Tag und Nacht mit einer mittleren Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde dahin zu jagen, jetzt über hohe Viaducte in Gesellschaft von Adlern und Lämmergeiern, nachher durch Tunnels in Gesellschaft von Ratten und Fledermäusen, nur an den Bahnhöfen anzuhalten, die einer so aussehen wie der andere, von Städten weiter nichts zu sehen als die Außenseite der Mauern und die oberste Spitze der Minarets, und das Alles unter dem unaufhörlichen Lärmen des Pustens der Locomotive, unter dem Pfeifen des Kessels, dem Aechzen der Schienen und dem Knarren der Bremsen – nennen Sie das etwa reisen?
    – Sehr richtig! rief der Kapitän Hod. Nun antworten Sie darauf, Banks, wenn Sie es können. Was meinen Sie dazu, Herr Oberst?«
    Der Oberst, an den Kapitän Hod seine Worte richtete, neigte den Kopf ein wenig und sagte nur:
    »Ich wäre begierig, zu hören, was Banks unserem Gaste, Herrn Maucler, für eine Antwort geben kann.
    – O, das setzt mich keineswegs in Verlegenheit, meinte der Ingenieur, ich gebe ja zu, daß Maucler vollkommen Recht hat.
    – Nun, fiel Kapitän Hod ein, wenn dem so ist, warum erbauen Sie Eisenbahnen?
    – Um es Ihnen, Kapitän, zu ermöglichen, binnen sechzig Stunden von Calcutta nach Bombay gelangen zu können, wenn Sie Eile haben.
    – Ich habe niemals Eile.
    – Schön, dann wählen Sie die Great Trunk-Straße, antwortete der Ingenieur. Wählen Sie diese, Hod, und reisen Sie zu Fuß!
    – Das beabsichtige ich auch zu thun.
    – Wann?
    – Sobald der Herr Oberst zustimmt, mich bei einem herrlichen Spaziergange von acht-bis neunhundert Meilen quer durch die Halbinsel zu begleiten!«
    Der Oberst lächelte still und verfiel in seine gewohnte lange Träumerei, aus der ihn selbst seine besten Freunde, wie der Ingenieur Banks und Kapitän Hod, nur mit Mühe zu erwecken vermochten.
    Seit einem Monate war ich in Indien angelangt, hatte aber, da ich von Bombay über Allahabad nach Calcutta die Great Indian Peninsular-Bahnlinie benutzte, von der Halbinsel so gut wie nichts kennen gelernt.
    Meine Absicht ging jedoch dahin, zunächst deren nördlichen Theil, jenseit des Ganges, zu durchstreifen, die großen Städte daselbst zu besuchen, die hervorragendsten Denkmäler zu studieren und dieser Untersuchung die erforderliche Zeit zu widmen, um sie gründlich durchzuführen.
    Den Ingenieur Banks hatte ich in Paris kennen gelernt. Seit einigen Jahren schon verband uns eine innige Freundschaft, welche der nähere vertraute Umgang nur steigern konnte. Ich versprach ihm seinerzeit nach Indien zu kommen, sobald die Vollendung der Scind Punjab and Delhi-Linie, deren Bau er leitete, ihm einige Muße gönnen würde. Das war nun jetzt der Fall. Banks hatte gerechten Anspruch auf eine mehrmonatliche Erholung, und ich kam nun mit dem Vorschlage, diese Ruhe auf einer anstrengenden Reise durch Indien zu genießen. Es versteht sich von selbst, daß er auf meinen Wunsch mit voller Begeisterung einging. In einigen Wochen schon, wenn die günstigere Jahreszeit eintrat, wollten wir aufbrechen.
    Bei meiner Ankunft in Calcutta, im März 1867, hatte Banks mich mit einem seiner ehrenwerthen Kameraden, dem Kapitän Hod, bekannt gemacht, und später mich auch seinem Freunde, dem Oberst Munro vorgestellt, bei dem wir eben die Abendstunden verbracht hatten.
    Der damals siebenundvierzigjährige Oberst bewohnte im europäischen Stadtviertel ein etwas vereinsamt liegendes Haus, fern dem Getümmel, das die Handelsstadt und die schwarze Stadt, die beiden Bestandtheile der Hauptstadt Indiens, kennzeichnet. Jenes Quartier wird zuweilen die »Stadt der Paläste« genannt, und wirklich fehlt es demselben an letzteren nicht, wenn man diese Bezeichnung auf Wohnungen anwenden darf, die von Palästen freilich nichts weiter als Hallen, Säulen und Terrassen haben.
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