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Das Dampfhaus

Das Dampfhaus

Titel: Das Dampfhaus
Autoren: Jules Verne
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zu haben!… Einen Augenblick schloß er die Augen.
    Es war Lady Munro, ja, Lady Munro selbst, die hier vor ihm stand.
    »Laurence… Du… Du!« wiederholte er.
    Lady Munro antwortete nichts. Sie erkannte ihn offenbar nicht wieder. Sie schien ihn gar nicht zu verstehen.
    »Laurence, o Gott, wahnsinnig! Wahnsinnig, aber doch noch am Leben!«
    Eine noch so vollkommene Aehnlichkeit konnte Sir Edward Munro unmöglich täuschen. Das Bild seines jungen Weibes war zu tief in sein Gedächtniß eingegraben. Nein, auch nach einer neunjährigen Trennung, die er für eine Trennung auf Ewigkeit halten mußte, fühlte er es, das war Lady Munro, wenn auch etwas verändert, doch immer noch schön; das war Lady Munro, durch ein Wunder den Henkern Nana Sahib’s entgangen, die hier vor ihm stand.
    Die Unglückliche fiel, nachdem sie Alles versucht, ihre Mutter, die vor ihren Augen ermordet wurde, zu vertheidigen, von einer Kugel getroffen zur Erde. Schwer, doch nicht tödtlich verletzt, wurde sie in bewußtlosem Zustande, aber als eine der Letzten in den Brunnenschacht zu Khanpur auf die armen Opfer geworfen, die jenen schon fast ausfüllten. Mit Einbruch der Nacht drängte sie vielleicht der Erhaltungstrieb, den Rand des Brunnens zu erklimmen – aber nur ein Instinct, denn den Verstand hatte sie in Folge des Anblicks der gräßlichen durchlebten Scenen schon verloren.
     

    »Laurence! Laurence!« (S. 399.)
     
    Nach Allem, was sie seit Beginn jener Belagerung, in dem Gefängnisse des Bibi-Ghar, auf dem Platze, wo das Gemetzel stattfand, erlebt, wo sie es sehen mußte, wie ihre Mutter schonungslos erwürgt wurde, ausgestanden – war sie wahnsinnig geworden, aber sie lebte noch, und ebenso fand Oberst Munro sie jetzt wieder. Als Irrsinnige war sie dem Brunnenschacht entstiegen, in der Umgebung umhergestreift und hatte die Stadt verlassen, als Nana Sahib und die Seinigen nach der blutigen Execution daraus entflohen. So stürmte sie ziellos in der Finsterniß quer durch das Land hin. Die Stadt umgehend und die bevölkerten Landstriche meidend, dann und wann von einem Raiot mitleidig aufgenommen und als ein des Verstandes beraubtes Wesen fast verehrt, war die Wahnsinnige bis nach den Sautpourra-Bergen, bis nach den Vindhyas gewandert. So irrte sie noch heute, seit neun Jahren todt für Alle, aber in der Erinnerung von der Feuersbrunst bei der Belagerung getrieben, rastlos umher.
    Ja, sie war es wirklich!
    Oberst Munro rief ihren Namen noch einmal… sie antwortete nicht. O, was hätte er nicht darum gegeben, sie jetzt in seine Arme pressen, sie aufheben, davon tragen, mit ihr ein neues Leben anfangen, ihr durch seine liebende Sorgfalt den Verstand wieder geben zu können!… Und er stand hier an diese Masse todten Metalls gebunden; an den Armen lief ihm das Blut von den Einschnitten der Stricke herab, und keine Macht der Erde konnte ihn aus dieser furchtbaren Lage retten!
     

    Eine furchtbare Detonation. (S. 403.)
     
    Welche unnennbaren Qualen zermarterten ihn jetzt, die selbst der grausame Nana Sahib kaum hätte ersinnen können! O, und wie würde das Scheusal gejubelt haben, wenn der Nabab wußte, daß auch Lady Munro in seiner Gewalt war! Was hätte er wohl nicht erdacht, um die Folter des Gefangenen zu erschweren!
    »Laurence! Laurence!« rief Oberst Munro noch einmal.
    Er wagte sogar ziemlich laut zu rufen, auf die Gefahr hin, den wenige Schritte von ihnen schlafenden Hindu zu erwecken, die in der Kaserne liegenden Dacoits, vielleicht gar Nana Sahib selbst herbeizulocken.
    Ohne die Worte zu verstehen, starrte ihn Lady Munro jedoch wie vorher mit unstetem, stechendem Blicke an. Sie sah die gräßlichen Leiden nicht, die der Unglückselige erduldete, der sie in dem Augenblicke wiederfand, wo die nächste Stunde ihm den Tod bringen sollte. Sie wiegte nur mit dem Kopfe hin und her, als wolle sie keine Antwort geben.
    So verflossen einige Minuten; dann ließ sie die Hand sinken, die Hülle schloß sich wieder vor dem Gesicht, und sie trat einen Schritt zurück.
    Oberst Munro glaubte schon, daß sie wieder davon gehen wollte.
    »Laurence!« rief er noch einmal, als sollte es der letzte Abschiedsgruß sein.
    Doch nein, Lady Munro dachte noch gar nicht daran, das Plateau von Ripore zu verlassen, und so entsetzlich schon des Gefangenen Lage war – es sollte noch schlimmer kommen.
    Lady Munro blieb stehen. Offenbar erregte diese Kanone ihre Aufmerksamkeit. Vielleicht erweckte dieselbe in ihr eine unerklärliche Erinnerung an die
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