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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns
Autoren: Cody Mcfadyen
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eines Nachmittags ganz unten in der Schublade, in der seine Unterwäsche lag. Vergraben und versteckt. Zuerst dachte ich, es sei meine Wäsche, aber so war es nicht, verstehen Sie? Das meine ich damit, wenn ich von seiner Persönlichkeit spreche. Wir haben Dexter Taschengeld gegeben, natürlich, und er hat in der Nachbarschaft ein paar Jobs übernommen, Rasen gemäht und so weiter. Er hatte sein eigenes Geld, mit dem er sich seine eigene Unterwäsche gekauft hat. Verstehen Sie? Er war vierzehn, und er war voller Zweifel wegen dem, was mit ihm geschah. Ich weiß aus späteren Gesprächen, dass er sich schuldig fühlte, schmutzig. Doch er war auch überzeugt, dass es nicht richtig wäre, die Sachen von mir zu stehlen, sondern dass es nur eine ehrenhafte Möglichkeit gäbe, nämlich sein eigenes Geld zu nehmen und sich die Sachen selbst zu kaufen. Es war ihm unendlich peinlich, hat er mir später erzählt, doch er konnte ausgesprochen stur sein, wenn es um Richtig oder Falsch ging.«
    Ich kann es mir vorstellen. Ein junger, zierlicher Knabe, der mit brennenden Wangen ein Höschen und einen BH kauft, weil es nicht richtig wäre, sie von seiner Mutter zu stehlen.
    Ich stelle mir vor, wie ich selbst mit vierzehn war. Wäre ich so aufrecht gewesen an seiner Stelle? Hätte ich den Mumm gehabt, mich in eine so peinliche Lage zu begeben?
    Verdammt, nein. Mom hätte eine Garnitur Unterwäsche verloren. »Ich verstehe«, sage ich zu Rosario. »Was ist danach passiert?«
    Sie verzieht das Gesicht. »O Gott. Drei furchtbare Jahre, das ist passiert. Wissen Sie, ich stamme aus einer mexikanischamerikanischen Familie. Katholisch und erzkonservativ. Auf der anderen Seite war ich Anwältin und an Gesetze und Strukturen gewöhnt - und daran, Geheimnisse zu bewahren. Und das tat ich denn auch. Die Sache blieb zwischen Dexter und mir.«
    »Verständlich.«
    »Ja. Es dauerte eine Weile, bis ich es aus ihm herausgeholt hatte, und um fair zu sein, Dexter war ziemlich konfus deswegen. Er wusste selbst nicht so recht, was mit ihm geschah. Er erzählte mir, dass er sich manchmal >seltsam< fühle, zum Beispiel, wenn er in den Spiegel schaue und einen weiblichen Körper zu sehen erwarte, keinen männlichen. Ich war zutiefst schockiert. Ich schnappte mir die Unterwäsche und schickte ihn postwendend zu einem Psychologen.«
    »Aber die Dinge nahmen ihren Gang.«
    »Der Psychologe meinte, Dexter hätte eine Geschlechts-Dysphorie, auch bekannt als gestörte Geschlechtsidentität. Hochtrabende Worte, die nichts anderes aussagten, als dass Dexter sich stark mit dem anderen Geschlecht identifizierte.«
    »Ich bin mit diesem Thema vertraut. Es kann von einer leichten Obsession bis hin zu der Gewissheit reichen, dass das Individuum im falschen Körper gefangen ist und eigentlich dem anderen Geschlecht angehört.«
    »Ganz recht. Der Psychologe hat Dexter >behandelt<. Er wollte Psychopharmaka als Bestandteil seiner Therapie einsetzen, doch ich untersagte es. Dexter war ein kluger, aufmerksamer, freundlicher Junge, ein Einserschüler, der nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war - warum um alles in der Welt sollte ich zulassen, dass man ihn unter Drogen setzte?« Sie winkt ab. »Es war alles umsonst. Die Behandlung bestand mehr oder weniger darin, seinen Zustand zu benennen und mit ihm daran zu arbeiten, >gegen den Zwang anzukämpfen<. Aber es hat nichts verändert.«
    »Wann hat er beschlossen, den Weg der sexuellen Umwandlung einzuschlagen?«
    »Oh, das hat er mir erzählt, als er neunzehn war. Ich glaube allerdings, er hatte den Entschluss bereits früher gefasst. Er hatte bis dahin lediglich herauszufinden versucht, wie er es bewerkstelligen konnte, ohne dass es seinen Vater und seine Mutter allzu sehr schmerzte. Nicht, dass wir es ihm leicht gemacht hätten, trotz allem.« Sie schüttelt den Kopf. »Dillon ging an die Decke. Wir hatten es ihm viele Jahre vorenthalten, und er liebte das Spiel der Politik so sehr. Unsere Enthüllung traf ihn völlig unvorbereitet.«
    »Wie kam Dexter damit zurecht?«
    Sie lächelt. »Er blieb ruhig. Ruhig und gefasst und voll innerlicher Gewissheit.« Sie zuckte die Schultern. »Er hatte einen Entschluss gefasst, und er würde ihn durchsetzen. Die Stärke seines Vaters.«
    Und deine, Rosario.
    »Sprechen Sie weiter.«
    »Er sagte, ihm wäre klar, dass diese Sache ein Problem für uns wäre, besonders für seinen Vater. Sein Lösungsvorschlag lautete, dass wir ihn öffentlich enterben sollten. Er sagte, es sei ihm
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