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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge
Autoren: Horst Hoffmann
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erwachte etwas anderes wieder in ihm. Aus flammender Leidenschaft wurde abgrundtiefer Haß. Er sah die Hexe lachen. Dann schrie sie dem Drachen etwas zu. Luxon hatte Mühe, jetzt noch auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Doch er wußte, daß sie soeben sein Schicksal besiegelt hatte. Und für ihn gab es nun nur noch eines: Er oder sie. Auch Quida war nicht gegen den Sog gefeit. Auch sie klammerte sich fest.
    »Dann soll das Auge dich verschlingen!« brüllte er. Mit einer Kraft, wie sie nur einem Menschen in höchster Todesnot gegeben war, zog er sich ganz auf den Flügel, gerade als dieser wild zu schlagen begann. Luxon wartete, bis er in der Höhe war, und stemmte sich blitzschnell vor, so daß er unmittelbar hinter der Hexe aufkam. Er ergriff ihr flatterndes Gewand und krallte die Finger hinein.
    Quida lachte noch immer. Der Drache stieg höher und stieß wieder auf die Felsen hinab, rüttelte in der Luft und versuchte, Luxon abzuschütteln.
    Quida schlug nach ihm, spuckte und kratzte mit ihren langen, spitzen Fingernägeln, die wie kleine Dolche waren. Ihre schwarzen Haare flatterten Luxon ins Gesicht. Er versuchte, einen Arm der Hexe zu fassen, und wand sich unter ihren Schlägen. Für einen Augenblick nur ließ er sie los. Er sah einen Fuß auf sich zukommen, warf sich mit einem Aufschrei zur Seite und rutschte haltlos über den Rücken des Drachen.
    Noch einmal suchten seine Hände nach einem Halt, doch da war nichts mehr, an das er sich klammern konnte. Luxon entging nur knapp einem Schlag der mächtigen, ledernen Schwingen und fiel.
    »Rache für Lazuli!« hörte er Quida kreischen. »Er ist dein, Achar! Nimm ihn von mir!«
    Nicht der Rachedämon erschien, um seine Klauen nach dem Hilflosen auszustrecken. Nur kurz fiel Luxon den schroffen Felsgipfeln entgegen. Dann griff der Sog aus der Schattenzone mit voller Wucht nach ihm. Er wurde um die eigene Achse gewirbelt, hörte ein letztesmal Quidas schauriges Lachen, hoch über sich in den Lüften, und wurde mit ungestümer Gewalt auf das Böse Auge zugerissen.
     
     
    *
     
    Nichts war mehr, wie es sein sollte. Luxon trieb dahin, hilflos und wie in einem bösen Traum. Seine Gedanken überschlugen sich, doch keinen vermochte er zu Ende zu denken. Aber tief in seinem Innern spürte er, daß alles, was Quida ihm angetan hatte, ihn erst mit seiner ganzen Wucht treffen würde, sollte er dies hier lebend überstehen.
    Seine Augen waren weit aufgerissen. Er sah Berge vor sich auftauchen, die sich in die Lüfte erhoben und um ihn herum drehten. Gewaltige Felsen lösten sich aus Massiven und stiegen in die Höhe. Im grellen roten Licht des Auges wirkte der Himmel wie von Fabelwesen bevölkert, die Luxon umschwebten wie riesige, bunte Schmetterlinge. Er drehte sich unablässig. Einmal zeigten seine Füße auf den Glutball, einmal sein Kopf. Oben wurde zu unten, innen zu außen. Luxon trieb in ein Meer aus sprudelnden Luftblasen hinein, dann auf funkelnde Dinge zu, die zu Felsbrocken wurden. Schwerelos begleiteten sie ihn. Einige waren schneller als er, andere langsamer. Er streckte abwehrend alle viere von sich, als er gegen einen von ihnen zu schmettern drohte. Doch seine Füße berührten den Fels und konnten ihn fortstoßen wie einen Strohballen. Alles, was ihm dabei geschah, war, daß er wieder herumgewirbelt wurde und höher stieg. Er hatte kein Gewicht mehr. Nichts wog hier etwas.
    Zerklüftete, kahle Gipfel stachen aus dem Himmel, gewaltige Massive von vielen Meilen Länge. Es war wirklich der Himmel, den Luxon da sah, denn unter ihm zogen sich ähnliche Berge dahin. Noch während er sie anstarrte, veränderten sie ihre Gestalt, schrumpften zusammen oder dehnten sich aus. Die dem Bösen Auge zugewandten Seiten waren in blutrotes Licht gebadet, die ihm abgewandten lagen in zuckenden Schatten. Und das Auge wurde größer und schrecklicher. Die Lichtspeere durchschnitten die Düsternis und bogen sich wie feurige Schlangen, die nach Luxon peitschten und gierig ihre Mäuler aufrissen. Nie gekanntes Entsetzen lähmte Luxons Verstand. Das Wissen, daß er rein gar nichts mehr tun konnte, war schlimmer als alles andere, viel schlimmer noch als das Erleben seines eigenen Todes auf dem Richtplatz von Hadam.
    Tausend Tode! hallte es in ihm.
    Wohin? Wohin zog es ihn? Wenn er nicht in diesem Auge starb – was sollte dann mit ihm geschehen? Für Augenblicke konnte Luxon halbwegs klar denken.
    Es gab nur ein Licht so hell wie dieses dort vor ihm. Sollte es möglich sein,
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