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Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken
Autoren: Gary Jennings
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Peinigern den groben Umgang mit mir vielleicht noch mehr übel nehmen. Aber ich gebe zu, dass ich mir in diesem Leben, das der Herr mir geschenkt hat, schon einiges habe zuschulden kommen lassen. Zweifellos habe ich mir jeden Augenblick der Schmerzen selbst zuzuschreiben.
    Dennoch, gedankt sei Gott, bin ich heute der König unter den Gefangenen, denn ich habe nicht nur eine Kerze, sondern auch einen Federkiel, Papier und Tinte, um meine Gedanken festzuhalten. Ich glaube nicht, dass der Vizekönig dieses Papier aus reiner Gutmütigkeit an mich verschwendet. Er möchte, dass ich meine Geheimnisse aufschreibe; indem er mir gestattet, meine Gedanken zu Papier zu bringen, will er mir das Wissen entlocken, das er mir mit glühenden Zangen nicht entreißen konnte. Allerdings freut sich der Vizekönig zu früh, denn ich besitze zwei Tintenfässer: eines so schwarz wie die Spinnen in diesem Höllenloch, das andere voller Muttermilch.
    Und wie, so mag sich der Leser fragen, kommt man in einem Kerker an Muttermilch?
    Von Carmelita, der süßen, reizenden Carmelita. Obwohl ich sie noch nie gesehen habe, bin ich sicher, dass sie das Gesicht eines Engels hat. Wir sprechen oft miteinander, Carmelita und ich, durch einen Spalt in der Wand zwischen unseren Zellen. Sie wurde vor Gericht gestellt und zum Tod durch den Strang verurteilt, und zwar weil sie einem Soldaten den Wanst aufgeschlitzt hat, der ihr den Hurenlohn schuldig geblieben war. Die arme Carmelita. Sie sitzt im Gefängnis, denn sie hat ihren Besitz gegen einen Dieb verteidigt, was doch das Recht eines jeden ist, der Handel treibt.
    Zum Glück für Carmelita beschränkt sich die männliche Verkommenheit nicht auf Soldaten. Die ekelhaften Wärter wechseln sich bei ihr ab, seit sie hier eingesperrt wurde, und nun erwartet sie ein Kind. Kluges Mädchen, denn eine schwangere Frau darf nicht hingerichtet werden. Diese Hure wusste genau, mit welchem Körperteil Gefängniswärter denken.
    Dieser Engel des Gefängnisses ist sogar noch schlauer als ich. Als ich ihr sagte, dass ich meine Erinnerungen an mein Leben auf dieser Erde festhalten möchte, aber verhindern wolle, dass der Vizekönig von meinen Geheimnissen erführe, reichte sie mir eine Tasse Milch aus ihrer Brust durch den Spalt zwischen unseren Zellen. Sie sagte, die milchige Schrift würde schon während des Schreibens unsichtbar werden - bis ein Eingeweihter sie über eine Wärmequelle hielte, sodass die Wörter wie durch Zauberhand wieder zum Vorschein kämen.
    Also werde ich zwei Versionen meines Lebens aufschreiben. Eine ist für die Augen des Vizekönigs bestimmt, die andere soll wie die Inschrift auf meinem Grabstein sein: meine letzten Worte, wegen derer man sich an mich erinnern wird.
    Die süße Carmelita wird diese Seiten mithilfe eines freundlichen Wärters hinausschmuggeln und einem Mann übergeben lassen, dessen Freundin sie ist. Auf diese Weise wird die Welt durch Worte, die mit Muttermilch in einem Kerker niedergeschrieben wurden, meine Geschichte erfahren.
    Was treibt mich an, meine Lebensbeichte zu hinterlassen, bevor ich mich dem Höllenfeuer stellen muss? Ach, mein Dasein bestand nicht nur aus Elend und Reue. Mein Weg führte mich von den düsteren Straßen von Veracruz in die Paläste der prächtigen Stadt Mexiko und zu den beeindruckenden Wundern von Sevilla, der Königin aller Städte. Meine Erinnerungen sind mehr wert als alle Schätze von Eldorado.
    Es ist die wahre Geschichte jener Zeit, eine Chronik meiner Tage als Lügner und Dieb, als obdachloser Herumtreiber, als reicher Adliger, als Bandit und als angesehener Caballero. Ich habe die Himmel geschaut, und meine Füße wurden versengt vom Höllenfeuer.
    Wie ihr sehen werdet, ist es eine erstaunliche Geschichte.
    3
    Die Menschen nennen mich Cristo el Bastarde. Doch in Wahrheit bin ich nicht auf den Namen ›Bastardo‹ getauft. Bei meiner Taufe wurde mir zu Ehren des einzigen Sohnes Gottes der Name Cristóbal verliehen. Bastardo hingegen ist nichts weiter als eine Unterstellung, sein Träger sei nicht im heiligen Bund der Ehe gezeugt worden, ein Name ist es nicht.
    »Cristóbal, erzähl uns von den Juwelen, dem Silber und dem Gold!«
    Diese Worte des Hauptmanns der Wache haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt wie glühende Kohlen von dem Scheiterhaufen, den die Folterknechte für die Todgeweihten errichten. Ich werde noch auf diese Schätze zu sprechen kommen, doch zuerst möchte ich mich meiner Geburt zuwenden. Meiner Jugend. Den
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