Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blut der Azteken

Das Blut der Azteken

Titel: Das Blut der Azteken
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
das du nicht weißt und das du nie erfahren darfst. Dieses Wissen würde dich nur in Gefahr bringen.« Er weigerte sich, mir mehr zu verraten, und umarmte mich. »Deine einzige Sünde ist, dass du geboren wurdest.«

3
    Die Hütte der Hexe stand am Rande des Dorfes in einem Hain von Zapotebäumen. Die Lehmhütte bestand aus zwei Zimmern und hatte ein Dach aus Agavenblättern. Anhand der Federn und Tierskelette an der Tür war unschwer zu erkennen, dass es sich um das Haus einer Hexe handelte.
    Als ich eintrat, saß sie im Schneidersitz auf dem Lehmboden und erhitzte grüne Blätter auf einem flachen Stein über einem kleinen Feuer. Drinnen sah die Hütte nicht minder seltsam aus als von draußen. Tierschädel, von denen einige sehr menschlich wirkten - ich hoffte, dass sie von Affen stammten -, waren auf dem Boden verstreut.
    Der Name der Hexe bedeutete in der Aztekensprache ›Schlangenblume‹.
    Schlangenblume war weder alt noch jung. Ihre indianischen Züge waren dunkel und scharf. Sie hatte eine schmale Nase und Augen so schwarz wie Obsidian mit kleinen goldenen Sprenkeln. Einige im Dorf glaubten, dass sie mit ihren Blicken anderen Menschen die Seele stehlen oder ihnen die Augen ausbrennen könne.
    Sie war eine tititl, eine Heilerin, die sich mit Kräutermedizin und Zaubersprüchen auskannte. Außerdem praktizierte sie schwarze Magie - geheime Fähigkeiten, die die Spanier niemals begreifen würden.
    Schlangenblume blickte nicht auf, als ich hereinkam.
    »Ich brauche einen Schlaftrunk für meine Mutter.«
    »Du hast keine Mutter«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben.
    »Was? Sogar Mestizen haben Mütter, du Hexe. Nur Zauberer entstehen aus Staub und Fledermausdreck. Meine Mutter braucht einen Trank um einzuschlafen, damit die guten Geister die Krankheit bekämpfen können.«
    Sie rührte weiter in den grünen Blättern herum, die auf der Steinplatte zischten und qualmten. »Ein Mestize kommt in meine Hütte, bittet mich um einen Gefallen und beleidigt mich dafür. Sind die Aztekengötter denn so schwach, dass ein Halbblut eine Reinblütige beschimpfen kann?«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Schlangenblume. Wegen der Verletzungen meiner Mutter habe ich vergessen, wer ich bin.« Ich schlug einen versöhnlichen Ton an. Ich glaubte zwar nicht an die Macht von Göttern und Geistern, doch ich wollte keine Schlange in meinem Bett oder Gift in meiner Essschale vorfinden, weil ich sie verärgert hatte. »Meine Mutter braucht einen Schlaftrunk, den bloß eine aztekische Geisterheilerin ihr geben kann. Ich möchte mich nicht nur bedanken, sondern dir auch ein Geschenk mit Zauberkraft geben.«
    Ich warf einen kleinen Beutel aus Hirschleder neben ihr auf den Boden.
    Sie rührte weiter in den rauchenden Blättern, ohne mich oder den Beutel eines Blickes zu würdigen.
    »Und was ist es? Das Herz eines Affen? Die gemahlenen Knochen eines Jaguars? Was versteht ein Mestizenjunge schon von Zauberkraft?«
    »Es ist ein spanischer Zauber. Ein Heiltrank, natürlich nicht so wirksam wie deiner«, fügte ich hastig hinzu. »Aber anders.«
    Ich merkte ihr an, dass sie neugierig wurde, allerdings zu stolz war, es zuzugeben.
    »Ich habe es mitgebracht, damit du den anderen im Dorf zeigen kannst, wie schwach und albern spanische Medizin ist. Das Pulver benutzt Bruder Antonio, um Warzen zu entfernen. Man vermischt es mit Wasser und trägt es auf die Warze auf. Wenn sie weg ist, verwendet man ein bisschen weniger, damit sie nicht wiederkommt.«
    »Pah!« Sie schleuderte den Beutel quer durch den Raum. »Meine Medizin ist stärker.« Sie kratzte die grüne Masse von dem heißen Stein in eine kleine Tonschale. »Hier, Mestize, bring das zu Miahauxiuitl. Es ist das Schlafmittel, das du wolltest.«
    Ich starrte sie an. »Woher wusstest du, dass ich dich um ein Schlafmittel bitten würde?«
    Sie lachte schrill auf. »Ich weiß viele Dinge.«
    Als ich nach der Schale griff, zog sie die Hand zurück und musterte mich prüfend. »Du bist in die Höhe geschossen wie ein Maishalm bei feuchtheißem Wetter. Du bist kein Junge mehr.« Sie zeigte mit dem Finger auf mich. »Ich gebe dir diese Medizin, damit die Geister des Schlafes zu Miahauxiuitl kommen. Aber als Gegenleistung musst du etwas für mich tun.«
    »Was denn?«
    Wieder lachte sie auf. »Das wirst du schon noch sehen, Mestize.«
    Ich eilte zurück zu meiner Mutter und ließ den hirschledernen Beutel bei der Hexe. Sie hatte eine Warze auf dem Handrücken, welche Bruder Antonio bei Spaniern mit dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher