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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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Verzweiflung. Er sah durch das Fenster, wie der weiße Ford mit dem grünen Nummernschild den Parkplatz verließ. Nein, das konnte es nicht gewesen sein!
Hastig griff er nach seinem Schlüssel und rannte hinaus zu Julies Mazda. Er startete den Wagen hart durch und jagte dem Ford hinterher.
Sie fuhren nach Osten, direkt nach Junction City. Waren sie auf dem Weg zu Julie? Was sollte er tun, wenn sie in Junction City die Interstate verließen? Er konnte ihnen dann unmöglich folgen. Ganz Junction City suchte ihn, wahrscheinlich auch diesen Wagen.
Er schaltete das Radio ein und drehte die Lautstärke so hoch, dass es ihn von all den Gedanken ablenkte.
Der Ford fuhr nicht in Junction City ab. Er fuhr direkt über Topeka zum Kansas TPK Toll und von dort auf den Highway 107. Der Highway war ihm so bekannt wie nichts anderes. Er las das Straßenschild der Shawnee Avenue und wusste damit, dass der Edwardsville Cemetery ihr Ziel sein musste. Es sollte auch sein Ziel werden, dort, wo seine Eltern begraben waren, seine Geschwister und eigentlich auch er. Sarah wollte zu seinem Grab. Vielleicht der Fahndung wegen? Vielleicht wollten sie dort sein Grab öffnen lassen, um nachzusehen, ob er auch wirklich darin lag.
    Gegen zehn Uhr morgens am 6. Mai 1997 parkten Sarah und Ben Newshorn auf dem Parkplatz des Erdwardsville Cemetery, der letzten Ruhestätte der Familie Gelton.
Dane war ihnen gefolgt und parkte den roten Mazda in sicherer Entfernung. Er erinnerte sich plötzlich an die vielen Tage, in denen er seinen Vater hier heimlich besucht hatte.
Das Türknallen des Fords holte ihn wieder in die Gegenwart. Er sah, wie Sarah den Wagen verließ. Er sah ihren Bauch, der fast unscheinbar klein zu sein schien.
Ben Newshorn nahm seine Tochter in den Arm. Beide sahen fröhlich und entspannt aus. Sie gingen durch das große weiße Tor, worüber noch einmal der Name des Friedhofs zu lesen war. Dahinter lag ein Meer von weißen Kreuzen. Sie stachen ehrfürchtig zwischen kräftigem Gras zum Himmel empor. Nichts, außer Blumen, die vereinzelt davorlagen und vor sich hinwelkten, unterschied sie voneinander. Alles sah so trostlos aus. Es mischte sich ein seltsamer Geruch von Toten dazu, den selbst das frischgemähte Gras nicht verjagen konnte.
Dane verließ den Mazda wie in Trance. Er schritt vor das große Eisentor.
Es war sein eigenes Grab, das Sarah und Ben an diesen Ort rief. Er sah die Beiden in weiter Entfernung zwischen den Kreuzen umhergehen.
    Sarah war zutiefst gerührt, als sie den Friedhof mit ihrem Vater betrat. Einst hatte sie hier eine große Trauer erfüllt, doch jetzt fühlte sie ein großes Glück.
Sie sah schon von weitem das weiße Kreuz, von dem sie sich vor einem halben Jahr so aufrichtig verabschiedet hatte. Es glänzte in der Morgensonne, als hätte es jemand poliert. Nicht eine Blume lag davor. Ein kleines Bild von Dane klebte inmitten des Kreuzes. Ein Bild aus den wenigen schönen Stunden seines Lebens, als sein Lachen noch ehrlich gewesen war. Sarah dachte daran, dass er jetzt 42 Jahre alt wäre. Sie konnte plötzlich den Duft seiner Seife riechen. Es war, als stände er jetzt direkt hinter ihr.
In ihrer rechten Hand hielt sie einen kleinen Strauß mit Orchideen, den sie vorsichtig aus dem Papier löste und vor das Kreuz legte. Seine Lieblingsblumen.
Das war es, was ihr die ganze Zeit gefehlt hatte.
Ben Newshorn lächelte, als er seine Tochter sah, die in einer Zeremonie gefangen ihren Bauch streichelte. Sie sprachen nicht miteinander und doch tauschten sie mental die Worte aus, die sie verpasst hatten zu sagen; die ihr Vater verpasst hatte zu sagen und die Dane verpasst hatte zu hören. Sie standen nur da und ließen sich von der Morgensonne streicheln.
Da erst bemerkte Sarah, dass es Frühling wurde – Frühling in Kansas. Sie dachte an die Gelton-Farm, die immer noch nicht verkauft war. Wie stolz würde das Haus jetzt inmitten der grünen Felder aussehen? Doch da war kein Haus mehr. Schwarze, verbrannte Ruinen gähnten in den Himmel. Aber die Scheune musste immer noch wunderschön anzusehen sein. Dane hatte sie zuletzt hellblau gestrichen. Vielleicht sollte sie das Anwesen gleich hiernach einmal besuchen und einen Verkauf erneut überdenken. Das Haus ließe sich sicher wieder aufbauen.
Wieder fühlte sie ihren Bauch. Das Baby schenkte ihr leichte Bewegungswellen. Wie glücklich würde es auf der Farm aufwachsen – viel glücklicher als in Golden bei ihrer Mutter. Sarah wusste, dass ihre Mutter das Kind jetzt schon
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