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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman
Autoren: Laura Bastian
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eines Mannes. Im Mondlicht konnte Viviana gut die winzige Stickerei und die sorgfältig gearbeiteten Nähte erkennen. Vorsichtig löste sie die Verschnürung und zog den Inhalt heraus. Es war etwas Hartes, das in ein Stück Leinen gewickelt war. Es schien alt zu sein, denn das Gewebe war an den Kanten brüchig. Viviana wickelte das kleine Paket aus, und in ihrer Hand lag ein Knochen. Stirnrunzelnd betrachtete sie das weiße Ding. Es sah aus wie das Glied eines menschlichen Fingers. Sorgfältig wickelte sie den Knochen wieder in das Stoffstück und blickte sich suchend im Zimmer um. Das kleine Paket in ihrer Hand wiegend, ging sie suchend im Raum umher. Sie wühlte leise in ihrem Gepäck und zog schließlich ihren Kamm hervor. Es war ein schönes Stück aus wunderbar meliertem Horn, das sie auf Melchors Kosten in Saint Albans gekauft hatte. Kurz entschlossen brach sie einen der großen Zinken ab. Sie hielt inne und lauschte, aber Melchor schlief fest. Nachdem sie den Zinken mit einem ihrer Bänder fest umwickelt hatte, wog sie beide Pakete in ihren Händen. Viviana konnte keinen Unterschied feststellen, steckte den Zinken in den kleinen Lederbeutel und zog ihn fest zu. Dann legte sie den Anhänger wieder unter Melchors Hemd, das andere Päckchen steckte sie in ihren Beutel, den sie in der tiefen Tasche ihres Kleides immer bei sich trug. Sie kleidete sich an, trank den Rest des Weines, setzte sich auf die Fensterbank und starrte hinaus in die Nacht.

• 30 •
    J ulian hatte die Vorderseite des Gasthauses unter Beobachtung, Rinaldo die Rückseite. Der Nachtwächter war auf seiner ersten Runde bereits vorbeigekommen, als Thorn in Begleitung von Viviana zu seinem Quartier zurückkehrte. Sie hatte sich bei ihm eingehakt, und Thorn machte auf Julian den Eindruck eines aufgeplusterten Gockels. Wenn er wirklich glaubte, der schönen Frau an seiner Seite läge tatsächlich etwas an ihm, war er ein armer Tropf. Julian wusste das, denn er hatte es am eigenen Leib erfahren. Aber er selbst war noch verblendeter als Thorn, denn Viviana war sogar ehrlich zu ihm gewesen. Sie hatte ihm nichts vorgemacht, und doch hatte er wie ein Narr gehofft. Julian beobachtete, wie sie ins Haus gingen. In keinem der Räume wurde ein Licht angezündet. Er wartete. Nichts geschah. Allmählich fragte er sich, ob sie die Herberge auf einem anderen Weg wieder verlassen haben könnten, da sah er Viviana kurz in einem der Fenster. Sie streifte ihr Unterkleid ab und löste ihr Haar, dann verschwand sie wieder im Dunkeln des Zimmers. Ein nie gekanntes Gefühl der Eifersucht durchflutete Julian wie ein Feuerstrom. Er wollte auf der Stelle in die Herberge stürmen und Thorn sein Schwert in die Brust rammen. Er atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Viviana gehörte ihm nicht. Sie hatte ihm nie etwas anderes versprochen, sie tat, was sie wollte, und das tat sie gerade mit Thorn. Julian machte ein paar Schritte und verharrte. Die Knöchel seiner geballten Hände waren weiß. Er trat zurück in den Schatten des überhängenden Daches. Es bedurfte seiner ganzen Selbstbeherrschung, nicht doch loszustürmen. Seine rechte Hand hatte den Griff seines Schwertes gepackt. Die Vorstellung, Viviana könnte in Thorns Armen liegen, brachte ihn fast um den Verstand. Wie konnte sie nur, wie konnte sie sich an einen solchen Mann vergeben? Langsam gewann Julians Verstand wieder die Oberhand. Sie setzte die Gaben, die Gott ihr so verschwenderisch geschenkt hatte, als Waffe ein. Er wusste, dass sie nicht die einzige schöne Frau war, die die Schwäche des männlichen Geschlechts zu nutzen wusste. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass Emmanuelle Foulaise ihren Körper ohne jeden Skrupel benutzte, um zu bekommen, was sie wollte. Doch es war auch ein Stück von Viviana dort oben in dem dunklen Zimmer, und es machte Julian rasend, dass Thorn sie jetzt besaß. Einen Moment später wurde er abgelenkt. Viviana erschien wieder im Fenster. Sie war jetzt angekleidet. Julian starrte zu ihr hinauf. Das war schnell gegangen, dachte er sich und schüttelte den Kopf. Thorn war ein noch größerer Tropf, als er angenommen hatte. Sie verschwand erneut, kam nach einer kleinen Weile wieder, setzte sich auf die Fensterbank und blieb dort sitzen. Sehnsucht zog in Julians Herz. Er hatte die Leere in seinem Herzen wieder füllen wollen, aber er hatte nicht erwartet, dass Gott ihm dafür Feuer geben würde. Er sah hinauf zu ihr. Viviana blickte in die Nacht. Sie beide warteten auf
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