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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab
Autoren: Helmut Vorndran
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wurde tiefer, die großen Maschinen begannen auszulaufen und
würden in ein paar Momenten stillstehen. Die Reißleine war gezogen.
    Lohneis atmete erleichtert auf. Wenigstens das hatte funktioniert.
Er sah sich um. Nicht nur die Stegbeleuchtung war erloschen, auch Kloster Banz
lag im Dunkeln, genauso wie Reundorf und das nahe Hausen. Soweit er sehen
konnte, war die gesamte Zivilisationsbeleuchtung im Obermaintal nicht mehr
existent. »Leckt mich doch alle am Arsch!«, wiederholte er noch einmal leise,
bevor er zitternd auf die Knie sank. Sogleich gesellte sich sein Hund zu ihm
und leckte ihm aufmunternd übers Gesicht.
    »Ach, Murat, ich glaube, wir haben gerade ganz Oberfranken
stillgelegt«, seufzte Lohneis, während sich hinter ihm der befreite Main
hemmungslos in sein enges Bett ergoss.
    *
    Edwin Rast fühlte sich wie ein Feldherr, dem eine siegreiche
Schlacht bevorstand. Einerseits würde heute Nacht der letzte Rekord fallen,
andererseits würde er morgen den totalen Triumph, den Endsieg feiern können.
Aber bis dahin waren es noch vierundzwanzig Stunden, jetzt hatte er noch eine
letzte Etappe zu gewinnen, eine Lücke im Puzzle zu schließen. Seinen ganz
persönlichen Missing Link. Ein orgastischer Moment stand ihm bevor. Langsam und
gefühlvoll kurbelte er den Blinker zu sich heran. Er konnte den Zander schon
regelrecht spüren. Er zog ihn an wie ein Magnet. Es war, als besäße er
hypnotische Kräfte, die jeder Anakonda zur Ehre gereicht hätten. Gleich war es
so weit …
    Plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch. Er ignorierte es, nein,
er musste es ignorieren. Selbst wenn sich hinter ihm in diesem Moment ein
Grizzly aufgebaut hätte, um Geschlechtsverkehr mit und von ihm einzufordern,
hätte er ihn nicht beachtet. Er war Angler, und vor ihm schwamm der wichtigste
Fang seines Lebens. In diesem Moment hätte er alles riskiert. Scheidung,
Aktienverluste, sogar den Diebstahl seines Wagens. Er hatte den Tunnelblick
aufgesetzt, außer dem Fisch war jetzt nichts mehr wichtig. Es ruckelte an der
Rute.
    Jetzt!, dachte er voller Vorfreude.
    »Petri Heil, Edwin!«, tönte es von hinten.
    »Moment!«, konnte er noch rufen, dann verschwand die Rute, der Fisch
und auch der letzte Rest der Abendsonne. Edwin Rast spürte dem kurzen, heftigen
Schmerz in seinem Kopf noch einen Moment lang nach – dann wurde es dunkel um
ihn herum.
    *
    Kommissar Haderlein saß allein im Biergarten, in Bamberg nicht
selten auch Keller genannt, da der gemeine Bamberger Bierkonsument sein
flüssiges Brot bei, in oder auf durchbohrten Erdhügeln einzunehmen pflegt,
welche in grauer Vorzeit als Bierlagerstätten genutzt wurden. Auf diese
natürlichen Bierlagerstätten hatte man kurzerhand ein paar Tische mit Ausschank
gebaut, und fertig war das Zentrum des oberfränkischen Seins. Im Laufe der
Jahrzehnte waren in Bamberg und Umgebung so viele Menschen auf diese schlaue
Idee des alkoholischen Unternehmertums gekommen, dass die Stadt mit ihrem
Umland mittlerweile als brauerei- und biergartenreichste Gegend der Welt galt.
Heute unternahm Franz Haderlein jedenfalls alles, um dem Ruhm der fränkischen
Bierstadt einen weiteren Stein in sein Fundament zu fügen. Drei Seidla waren
schon erledigt, und nun hatte er beschlossen, den Abend mit einem Schnitt
abzurunden, der im Prinzip nichts weiter als ein drei viertel volles Seidla zum
halben Preis ist. Allerdings darf im Fränkischen ein Schnitt nur ein einziges
Mal am Abend bestellt werden, ansonsten droht Ärger. Fränkische Wirte können
rechnen – jedenfalls die erfolgreichen.
    Kommissar Haderlein zumindest würde dieser Schnitt für heute
reichen. Schließlich war August, es herrschten laue siebenundzwanzig Grad, und
Bamberg bierduselte seit Wochen ohne größere kriminelle Vorfälle vor sich hin.
Fast hätte man meinen können, der gemeine fränkische Verbrecher würde im Sommer
eine Bierpause einlegen. Ein bierbedingter Waffenstillstand, sozusagen der
Ramadan der fränkischen Welt. Franz Haderlein hob seinen Krug, grüßte im
Stillen die Silhouette der Altenburg, die sich vor dem Nachthimmel abzeichnete,
und begab sich dann auf den langen Weg zum Boden des Kollegen Seidla.
    *
    Edwin Rast erwachte. Langsam, aber stetig kam er wieder zu seinem
verblüfften, aber auch zunehmend verärgerten Anglerbewusstsein. Wo war der
Fisch geblieben? Wieso hatte er geschlafen? Hatte er den Zander gefangen? Vor
ihm leuchtete der Mond in seiner ganzen Pracht, und Edwin Rast quälte das
dringende Bedürfnis, seine
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