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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab
Autoren: Helmut Vorndran
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seine bierologische
Bodenbildung erreicht. Das war’s. Der restliche Abend stand unter der Devise
»Zahlen und gehen«. Noch ein Blick auf den vollen Mond und in die sternenklare
Nacht, dann winkte er der Bedienung, die auch gleich an seinen Tisch trat, ihn
warmherzig anschaute und ihm ein »Darf’s noch was sein, Herr Kommissar?« ins
romantisierte Gemüt flötete. Haderlein schaute warmherzig zurück, beschied
spontan, auch seinen restlichen Körperteilen eine Erwärmung zukommen zu lassen,
und bestellte noch einen fränkischen Zwetschgenschnaps und einen Williams. Hier
gab es die besten Destillate weit und breit, und der Kommissar kannte sich aus.
Schließlich brannte er seit Jahren selbst und hatte sich schon einen gewissen
Ruf in der fränkischen Brennerszene erarbeitet. Dieser Abend war geradezu
prädestiniert für einen Schnaps – oder auch zwei. Was für ein Leben, was für
eine Nacht! Er seufzte. Dieser Tag hatte es verdient, ohne Verbrechen beendet
zu werden, denn das war nicht nur gut für Bamberg, sondern auch für seinen
Schlaf: Haderlein war ein glühender Verfechter des natürlichen Erwachens. In
seinem Beruf ein eher exotisches Ansinnen, aber am kommenden Morgen könnte es
klappen. Genüsslich langsam ließ er die erste Köstlichkeit die Kehle
hinunterrinnen.
    *
    Edwin, bleib cool, ermahnte er sich und versuchte, seine
aufgewühlten Gedanken etwas zu beruhigen. Denk nach, denk verdammt noch mal
nach! Gerade hatten sich seine Gefühle wieder einigermaßen im grünen Bereich
eingependelt, da hörte er ein Geräusch. Ganz eindeutig. Es näherte sich von
links auf dem Fluss. Sofort erkannte er, was es damit auf sich hatte. Auf der
ganzen Welt würde er diesen Lärm erkennen, den es eigentlich auf diesem Planeten
auszurotten galt. Nie hätte er gedacht, dass er ihm eines Tages hochwillkommen
sein würde. Monotone und gleichmäßige Paddelschläge durchbrachen die Stille.
Ganz eindeutig näherte sich ihm ein Kanu, seine Rettung. Ha, unverhofft kam
also doch oft. Schon öffnete er seinen Mund zum finalen Hilfeschrei, doch dann
durchfuhr es den Großmeister der Anglerschaft wie ein Blitz, und er klappte ihn
stumm wieder zu. Das Boot fuhr außerhalb der genehmigten Zeit! Nach achtzehn
Uhr war das Kanufahren auf dem Main definitiv verboten. Und außerdem, er zwang
den Kopf so weit nach rechts unten, dass er mit letzter Anstrengung den Pegel
an seinem Pfeiler im Mondlicht erkennen konnte, außerdem stand der mindestens
sieben Zentimeter im roten Bereich. Das Kanufahren war gefälligst einzustellen.
Diese Arschlöcher waren illegal unterwegs! Das Adrenalin pumpte sofort und ohne
Voranmeldung durch seinen Körper. Statt dem angedachten »Hilfe!« entrang sich
ein »Ihr verdammten illegalen Verbrecher!« seiner unterkühlten Kehle. »Wenn ich
euch erwische, bohr ich euch ein Loch in euren Dreckskahn!«, krächzte er den
Paddlern entgegen. Doch die Fahrer schienen mitnichten beeindruckt zu sein,
sondern steuerten direkt auf ihn zu.
    *
    Im Wasserwirtschaftsamt Kronach begann ein Lichtlein zu blinken: die
Hochwasserwarnleuchte der Pegelstelle Ebensfeld. Der diensthabende Flussmeister
hob den Blick von seinem Taschenbuch und starrte die Lampe entgeistert an.
Hochwasser am Pegel Ebensfeld? Aber der Main konnte doch kein Hochwasser
führen! Seit über zwei Monaten hatte es quasi keinen Tropfen mehr geregnet. Der
Fluss war schon längst im Niedrigwasserbereich. Was sollte also der Quatsch?
Vielleicht war es ja nur wieder ein blöder Witz seiner Kollegen. An seinem
ersten Arbeitstag hatten sie die wahnsinnig witzige Idee gehabt, ihn zu einem
Hochwasseralarm an den Leiterbach zu schicken. Dort hatte er dann ein Bier und
viele belustigte Kollegen vorgefunden. Flussmeister Goppert lachte zwar sehr
gerne und auch über sich selbst, aber Mitternacht, kurz vor Schichtwechsel, war
wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für solch einen Scherz. Er checkte das
Programm, aber alles war in Ordnung. Er prüfte die Webcam, auf der um die
Uhrzeit logischerweise nichts zu sehen war. Nur das Mikrofon rauschte
auffällig. Das sollte man auch mal erneuern, dachte er beiläufig.
    Was sollte schon groß passiert sein? Morgen würde er mit einem
Techniker zum Pegelhäuschen marschieren und sich den Pseudoalarm aus der Nähe
anschauen. Erneut betrachtete er die grafische Darstellung des Computers: zwei
Meter über Normalstand, Tendenz steigend. Das wäre ja Meldestufe vier und damit
extremes Hochwasser! Aber das war ja absolut lächerlich.
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