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Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Autoren: Giulia Enders
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gehen, jedes Sandkorn im Salat merken wir sofort. Eine kleine Wunde, die uns am Ellenbogen noch nicht einmal auffallen würde, tut im Mund höllisch weh und erscheint riesengroß.
    Ohne unsere speicheleigenen Schmerzmittel könnte das noch schlimmer sein! Weil wir beim Kauen eine Extraladung solcher Speichelstoffe ausschütten, ist Halsweh nach dem Essen besser, und auch kleine Wunden im Mundinnenraum tun dann weniger weh. Es braucht nicht unbedingt Essen – auch schon beim Kaugummikauen kommen wir an unsere mundeigenen Schmerzmittel. Mittlerweile gibt es sogar eine Handvoll neuer Studien, die zeigen, dass Opiorphin antidepressive Wirkungen besitzt. Funktioniert Frustessen vielleicht auch ein Stück weit über die Spucke? Die Schmerz- und Depressionsforschung der kommenden Jahre wird uns diese Frage vielleicht beantworten können.
    Speichel schützt die empfindliche Mundhöhle nicht nur vor zu viel Schmerz, sondern auch vor zu vielen bösen Bakterien. Dafür gibt es zum Beispiel Mucine. Das sind Schleimstoffe. Sie sorgen für ein paar Stunden faszinierter Unterhaltung, wenn man als Kind feststellt, dass man dank ihnen mit dem eigenen Mund Seifenblasen machen kann. Mucine hüllen unsere Zähne und unser Zahnfleisch in ein schützendes Mucin-Netz. Wir spritzen sie aus unseren Speichelpünktchen ungefähr so, wie Spiderman Netze aus seinem Handgelenk schießt. In diesem Netz bleiben Bakterien hängen, bevor sie uns angreifen können. Während sie dort gefangen sind, können andere antibakterielle Stoffe aus dem Speichel schlechte Bakterien abtöten.
    Wie beim Speichel-Schmerzmittel gilt aber auch hier: Die Konzentration der Bakterien-Killer-Stoffe ist nicht übertrieben hoch. Unsere Spucke will uns nicht durchdesinfizieren. Wir brauchen sogar eine gute Stammmannschaft an kleinen Wesen im Mund. Harmlose Mundbakterien werden von unserem Speichel nicht komplett ausradiert, denn sie nehmen Platz ein – Platz, der sonst von gefährlichen Keimen bevölkert werden könnte.
    Beim Schlafen produzieren wir kaum Speichel. Das ist super für alle Kissen-Sabberer – würden sie die vollen 1 bis 1 , 5 Liter Tagesspeichel auch nachts produzieren, wäre das ein unschönes Hobby. Weil wir nachts so wenig Speichel produzieren, haben viele Menschen morgens Mundgeruch oder Halsweh. Acht Stunden knappe Bespeichelung heißt für die Mundmikroben: sturmfrei. Freche Bakterien werden dann nicht mehr so gut im Zaum gehalten, und unsere Schleimhäute in Mund und Rachen vermissen ihre Sprinkleranlage.
    Das Zähneputzen vor und nach dem Schlafen ist deshalb eine clevere Einrichtung. Am Abend verringert man damit die Bakterienzahl im Mund und startet so mit einer vorerst kleineren Party-Mikroben-Gesellschaft in die Nacht. Am Morgen räumt man dann die Überreste der nächtlichen Sause weg. Zum Glück wachen unsere Speicheldrüsen morgens mit uns auf und machen sich sofort an die Produktion! Spätestens das erste Brötchen oder unsere Zahnbürste regt den Speichelfluss so richtig an und beseitigt die Mikroben oder transportiert sie hinunter in den Magen. Hier übernimmt die Magensäure den Rest.
    Wer auch tagsüber unter Mundgeruch leidet, hat vielleicht nicht genug müffelnde Bakterien entfernen können. Ausgefuchste Kerlchen verstecken sich gerne unter dem neugebildeten Mucin-Netz und sind dort nicht mehr so gut erreichbar für die antibakteriellen Speichelstoffe. Dann können Zungenschaber helfen, aber auch ausgedehntes Kaugummikauen – es sorgt dafür, dass ordentlich Speichel fließt und die Mucin-Verstecke wegspült. Wenn das alles nichts nützt, gibt es einen weiteren Ort, an dem man nach Mundgeruch-Verursachern suchen kann. Dazu kommen wir gleich, nach der Vorstellung des zweiten geheimen Ortes im Mund.
    Dieser Ort gehört zu den typischen Überraschungen – man denkt, man kennt jemanden, und findet dann heraus, dass derjenige eine wirklich unerwartete, verrückte Seite hat. Die schick frisierte Frankfurter Sekretärin findet man abends im Internet als Betreiberin einer wilden Frettchenzucht wieder. Den Gitarristen der Heavy-Metall-Band trifft man beim Wollekaufen, weil Stricken entspannend und ein Work-out für die Finger ist. Die besten Überraschungen kommen nach dem ersten Eindruck – das ist schon bei der eigenen Zunge so. Wenn man sie rausstreckt und dabei in den Spiegel schaut, sieht man auch nicht gleich ihr komplettes Wesen. Man könnte sich fragen: Hey, wie geht sie da hinten eigentlich weiter? So richtig zu Ende sieht das ja
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