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dark canopy

Titel: dark canopy
Autoren: Jennifer Benkau
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Blutsonnentag aufgelehnt hatten.
    Im Aufenthaltsraum traf ich bei der Suche nach etwas Essbarem auf Matthial und seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Josh, der mit seinem honigblonden Strubbelkopf und den blassgrauen Augen ein knochiges Ebenbild seines ohnehin schon schlaksigen Bruders darstellte. Matthial hatte einen seltsamen Ausdruck auf dem müden Gesicht und schlug mir zur Begrüßung fester als sonst auf die Schulter. Er konnte nicht besser geschlafen haben als ich, vielleicht war er auch gar nicht erst zu Bett gegangen.
    »Ist etwas passiert?«, fragte ich.
    Josh schluckte. »Sie haben gestern drei Männer aus Jamies Clan getötet und zwei verletzt. Ein Hinterhalt, sie haben ihnen eine Falle gestellt. Wir haben es gerade erst erfahren.«
    »Fuck«, murmelte ich. Wir verwendeten das Wort recht häufig, um zu maskieren, dass es uns kaum noch berührte, wenn jemand starb. Die Kleinen heulten meist. Wir nicht. Schon lange nicht mehr.
    »In den nördlichen Wäldern«, fuhr Josh fort und trat von einem Bein aufs andere.
    Mein Blut gefror, denn genau dort war ich gestern gewesen. »Darum war er unbewaffnet«, entfuhr es mir. »Er war ein Lockmittel.«
    Matthial nickte knapp. »So haben sie Jamies Leute überwältigt. Sie trafen auf einen unbewaffneten Varlet, griffen an und verrieten damit ihren Standort den in der Nähe lauernden Kriegern. Himmelgraue Scheiße.«
    Ich schnaubte, entrüstet über so viel Kaltherzigkeit der Percents, die ihresgleichen einfach opferten. Doch irgendetwas daran war seltsam ... Warum hatte der Varlet bei mir keinen Alarm geschlagen? Vielleicht war ich es nicht wert. Sie wollten Rebellenkämpfer, keine Mädchen. Aber er hätte mich so leicht töten können, warum hatte er es nicht einfach getan? Womöglich aus dem gleichen Grund, aus dem auch ich ihn nicht getötet hatte?
    Ich versuchte, das Grübeln zu unterbinden. Ich war mir ja noch nicht einmal über mein eigenes Motiv im Klaren. Es hatte keinen Sinn, über die Motive eines Percents zu spekulieren.
    Unzufrieden mit mir selbst verließ ich den Aufenthaltsraum. Die Sonne ging auf, ich wollte die beiden kurzen Stunden Tageslicht nutzen, die die Percents der Natur zugestanden, ehe sie den Himmel wieder verdunkelten. Ein Ruf von Matthial ließ mich im Türstock innehalten.
    »Joy?« Er grinste bemüht. Dann zog er seinen Dolch aus der Scheide und warf ihn in meine Richtung. Zitternd blieb die Klinge im Türrahmen stecken.
    »Was ...?«
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Messermädchen. Und zur Volljährigkeit.« Er drehte sich um und verließ den Raum durchs Fenster. War er rot geworden?
    Josh zuckte mit den Schultern, sagte: »Ähm ... ja, von mir auch«, und folgte ihm.
    Verwirrt zog ich Matthials Waffe aus dem Holz und prüfte beide Schneiden mit dem Daumen. Verdammt scharf, er musste sie gerade erst geschliffen haben. Die Klinge war zwanzig Zentimeter lang, der Dolch recht schwer, aber perfekt ausbalanciert. Staunende, eisblaue Augen spiegelten sich auf dem blank polierten Stahl. Sie kamen mir fremd vor. Selbstverständlich, denn ab heute war ich jemand anderes. Ab heute war ich sechzehn. Volljährig. Berechtigt, mich frei zu bewegen und zum Handeln in die Stadt einzudringen, und verpflichtet, alles zu tun, was nötig war, um unser Überleben zu sichern, auch wenn ich mich dadurch in Gefahr brachte.
    Ab heute war ich eine Kriegerin.

dreieinhalb jahre später,
anfang des Jahres 40 nach der übernahme

1
    fort hier, nur fort,
wo mag das sein?
    Die Bettgymnastik meiner Schwester hätte mich weniger gestört, wenn sie etwas abwechslungsreicher gewesen wäre. Aber den immer selben schemenhaften Aufs und Abs zusehen zu müssen, begleitet von der stets gleichen Geräuschkulisse, reizte meine Nerven bis zum Äußersten. Sie hatten doch schon ein Kind. Wollte Penny enden wie Baby? Baby war tot, gestorben an einem Fieber nach der Geburt ihres letzten Kindes.
    Vielleicht nervte es mich aber auch nur, dass die beiden schwitzten und ich selbst erbärmlich fror. Nichts hasste ich mehr als den Winter. Wobei Schlaflosigkeit sowie die Unfähigkeit, wichtige Entscheidungen zu treffen, auch weit oben auf meiner Hassliste rangierten. Heute Nacht kam alles zusammen.
    Ich warf eine Blechschale und traf den keuchenden Ennes am Kopf. Er fluchte wüst in meine Richtung, ließ sich ansonsten jedoch nicht stören. Er kam noch nicht mal aus dem Rhythmus. Bewundernswert. Wenn er doch nur halb so gut jagen und kämpfen könnte oder neben dem inbrünstigen
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