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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie
Autoren: Susanne Becker
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einem Schlafzimmer in München innerhalb weniger Minuten acht echte Bergebeziehungsweise Hartmanns auf zwölf Jahre alten Briefumschlägen.

    Zufrieden lehnte Marie sich zurück und betrachtete einige Minuten ihr Werk. Ben Bergemann. Ben Bergemann. Ben Bergemann. Sie verglich ihre Kuvert-Beschriftung mit den Brief-Originalen und sah Kasimir Beifall heischend an: »Na, was sagst du jetzt?« Da Kasimir natürlich nichts dazu sagen konnte und vermutlich auch nicht wollte, jedoch wieder einmal vorwurfsvoll aufblickte, fühlte Marie sich als infame Urkundenfälscherin entlarvt und verurteilt. RÜCKGÄNGIG? Aber schließlich war Ben, wenn auch nicht mit ausführlicher Unterschrift, wirklich der Absender dieser Briefe gewesen, und er hätte sie mit Sicherheit auch mit seinem kompletten Namen versehen, wenn er geahnt hätte, wie wichtig dieses Detail für Marie einmal werden würde. Also: Marie rehabilitiert, Kasimir widerlegt, Briefe archiviert. SPEICHERN.
    Amors Schuhschachtel beherbergte nun neun Briefe. Nicht gerade üppig in einem fünfunddreißigjährigen Leben, das immerhin ungefähr zwanzig geschlechtsreife Jahre beinhaltete, fand Marie. Kein Ruhmesblatt also für das vorzubereitende posthume Image. Während sich Kasimir geräuschvoll auf die andere Seite drehte, ersann sie den nächsten Schritt in Sachen Liebesbrief-Kosmetik. Sie musste die Quantität der Korrespondenz deutlich erhöhen, sollte die Nachwelt nicht auf den Gedanken kommen, ihr Liebesleben habe sich in diesen zwanzig geschlechtsreifen Jahren auf zwei Beziehungen beschränkt, von denen eine gerade mal ein paar Monate gedauert hatte.
    OPTIONEN … Es mussten eindeutig etwas mehr Liebesgeständnisse her. Mit einer Handvoll ziemlich normaler Texte konnte sie nach ihrem Tod mit Sicherheit niemanden beeindrucken. Wie aber kam man an poetische,
ausgefallene Liebesbriefe, wenn man gerade keinen Mann zur Hand und selbst auch kaum Erfahrung mit derartigen Mitteilungen hatte? Marie stand auf und lief einige Male unruhig im Zimmer hin und her. Mit Grauen erinnerte sie sich an die wenigen kümmerlichen Versuche, mit denen sie selbst sich im Laufe ihrer Beziehungen abgequält hatte. Vielleicht war ja das der Grund, dass sie jetzt kurz vor Ende ihres Lebens nur auf eine recht spärliche Anzahl schriftlicher Liebesgeständnisse zurückblicken konnte. Denn wie man in den Wald hineinschreibt, so schreibt es ja wohl heraus …
    Selbst schuld also, aber damit konnte sie sich in diesem Moment leider nicht zufriedengeben. Aktivität war gefragt - etwas, das sie in den vergangenen Monaten eher vermieden hatte. Doch wollte sie nicht, dass ihr Ende genauso unauffällig wurde wie das Leben davor, dann musste sie jetzt über ihren Schatten springen und sich selbst als Liebesbrief-Autorin betätigen. Und das, obwohl Schreiben noch nie ihre große Stärke gewesen war. Ausgerechnet. Vielleicht sollte sie sich eher an einem Gemälde oder einer CD mit Liebesliedern versuchen? Das lag ihr vermutlich mehr. VERSCHIEBEN. Auch keine schlechte Idee, aber zuerst musste sie die Aktion Liebeskorrespondenz zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. »Drücken gilt nicht«, sprach sie sich selbst Mut zu und streichelte Kasimir ein paar Mal liebevoll über den Kopf, den dieser, überrascht über die Ansprache, kurz gehoben hatte. Schließlich konnte sie ihre schriftstellerischen Versuche jederzeit wieder vernichten und es bei den vorhandenen Briefen belassen. SPEICHERN.
    Marie beschloss, sich zunächst einige Anregungen zu holen, und lief ins Wohnzimmer zu ihrem Bücherregal.
Vielleicht fand sich hier etwas, das man als Inspiration für einen eher unkreativen Geist wie den ihren brauchen konnte. Doch bis auf einen Gedichtband von Goethe, den sie in ihrer Schulzeit von den Eltern geschenkt bekommen hatte und in dem sich natürlich auch Liebesgedichte fanden, beherbergte das Regal keinerlei brauchbare Vorlagen. »Wie schreibe ich einen Liebesbrief an mich selbst, wenn es sonst keiner tut?« - das wäre mal ein hilfreiches Buch in der vielfältigen Literaturlandschaft gewesen, fand Marie an diesem Samstag und setzte sich mit Goethes Gedichten auf ihr Sofa, um gleich mit der Recherche zu beginnen. ÖFFNEN. Vielleicht war das Geschenk der Eltern, das sie damals mit siebzehn als ziemlich sinnlos empfunden hatte, jetzt doch noch von Nutzen.
    Einige seiner Gedichte hatte der Meister mit dem Namen der jeweils Angebeteten versehen, was Marie für ihre Zwecke eher ungelegen kam. Natürlich hatte sie nicht
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