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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Autoren: Kösel
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gleich im Terminkalender nachgeschaut und nur gesagt: ›Scheiße, dann kannst du am nächsten Turnier nicht teilnehmen. Dann musste ich mir noch Vorwürfe anhören, wie ›Du passt nicht mehr gut auf dich auf … früher hast du keine einzige Verletzung gehabt und jetzt, wo du ganz vorne bist … ständig passiert was.‹«
    In mehreren Gesprächen wurde klar, dass Peter überhaupt keine Lust mehr auf Judo hat, doch seinem so überaus ehrgeizigen jüngeren Bruder nicht nachstehen und vor allem nicht als Versager in den Augen des Vaters gelten wollte: »Immer wieder muss ich mir sagen lassen, dass mein Vater doch seine ganze Freizeit für seine Söhne opfert, dass er keine Weicheier großgezogen hat und dass er glücklich gewesen wäre, wenn sein eigener Vater ihn so gefördert hätte.«
    Es hat Monate gedauert, bis Peter genug Mut gesammelt hatte, seinem Vater zu sagen, dass er keine Lust mehr auf
Judo und die dreimaligen wöchentlichen Trainingseinheiten hat. Zuerst passierte genau das, wovor sich Peter gefürchtet hatte: Sein jüngerer Bruder wurde ihm als Vorbild hingestellt, »einer, der nicht so schnell aufgibt«, so der Vater. Peters Vater kümmerte sich einige Wochen lang hingebungsvoll nur noch um den jüngeren Sohn. Der Kontakt zu seinem älteren Sohn wurde auf das Nötigste beschränkt. Vater und Sohn gingen sich aus dem Weg. Ihre Gespräche, die vorher weitgehend um Judo kreisten, hörten ganz auf.
    Peter: »Er interessiert sich nicht mehr für mich, ich gehe ihm am Arsch vorbei...«
    »Was würdest du ihm denn gerne sagen?«
    Peter, ein sensibler Jugendlicher mit einem guten Gespür für den eigenen Wert, auch wenn ihm dieser gerade abhandenzukommen drohte, meinte nach längerem Nachdenken: »Ich würde ihm gerne sagen: He, Papa, ich hab doch nur mit Judo aufgehört … ist das so schlimm?«
    Ja, es ist schlimm für einen Vater, wenn ein in Judo erfolgreicher Sohn damit aufhört. Peter hat seinem Vater die Delegation »Sei, was ich gerne gewesen wäre, aber nie sein konnte« zurückgegeben. Peter hat sich von einem väterlichen Auftrag, auch wenn es ein gut gemeinter war, verabschiedet. Damit hat er seinem Vater auch die Hoffnung genommen, dass durch die Erfolge des Sohnes eine alte Wunde heilen könnte. Sein Vater ist als Junge oft gehänselt worden, weil er so unsportlich war. Eine zutiefst kränkende Erfahrung. Peters Vater wollte seinen Söhnen diese schmerzliche Erfahrung ersparen. Eine lautere Absicht.
    Ich habe oft Eltern dasitzen, die voll lauterer Absichten sind. Doch Hand aufs Herz: Um was geht es wirklich? Geht es wirklich nur darum, dass sie es »besser machen« wollen als die eigenen Eltern? Oder ist das ihnen oft unbewusste Motiv nicht ein weniger lauteres, nämlich um die Bearbeitung und Auflösung ihrer eigenen kränkenden Erfahrungen herumzukommen?
Das schmerzliche Defizit und die damit verbundene Selbstwertkränkung werden oft einfach in die nächste Generation hineingeschoben. Hinter der elterlichen Haltung »Ihr sollt es besser haben!« steckt ein verworrenes Motivbündel. Wenn wir es sorgsam auseinandernehmen, fällt ein ganz bestimmtes Motiv mit einer Doppelbotschaft zuerst heraus: Macht es mal besser! Aber eben auch: Glaubt ihr wirklich, dass ihr es besser macht?
    Vielleicht sind einige Eltern jetzt empört. Also ist es an der Zeit, mit einem Klischee aufzuräumen: immer nur geben, immer nur gut, »Mutter Teresa« sein zu müssen.

Der Mutter-Teresa-Komplex
    Die uneigennützige, selbstlose Elternschaft gehört ins Reich der Legenden. Ein zwölfjähriger, aufgeweckter Junge hat mich letzthin mit der Frage überrascht: »Wann würden Sie töten? Würden Sie überhaupt töten?« Ich musste, obwohl mich die Frage überrascht hatte, nicht lange überlegen. »Ja, ich würde töten … wenn ich selber angegriffen würde, um mein Leben fürchten müsste - und ich lebe gern - oder wenn ich töten müsste, um meine Kinder zu retten.« Wahrscheinlich würden die meisten Eltern so antworten. Vorausgesetzt, sie haben keine Aggressionshemmung.
    Die selbstlose Elternschaft ist ein Mythos. Denn die Familie ist eine Interessengemeinschaft. Jedes einzelne Familienmitglied will bestimmte Bedürfnisse befriedigt bekommen. Schon beim Gedanken an eine Familiengründung muss etwas Lohnendes »herausspringen«, um es einmal etwas ökonomisch und profitorientiert zu formulieren.
    Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren in den bäuerlichen Familienstrukturen die Nachkommen die Garantie, dass der
Hof nicht in
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